INTEGRATION

August Gächter

 

1.     "Integration"

Eingangs möchte ich ein paar Fragen in den Raum stellen. Die Antworten muß jeder selbst finden, denn alle, zumal wenn sie als Berater, Betreuer, Beamte, Politiker oder Wissenschaftler mit dem Thema Integration befaßt sind, haben eine Antwort auf jede dieser Fragen. Die Antworten mögen nicht alle bewußt sein, und sie mögen widersprüchlich sein, aber gerade das macht es nötig, sie zu finden und sie auszusprechen.

Warum müssen wir über Integration reden? Geht sie uns nur zu langsam oder haben wir noch andere Gründe? Warum kommen die U.S. Amerikaner im Gegensatz dazu seit rund 25 Jahren ohne das aus? Sie haben damals aufgehört über Assimilation zu sprechen und haben seither nie begonnen, das Wort Integration statt dessen zu verwenden.

Was genau meinen wir, wenn wir das Wort Integration aussprechen? Was stellen wir uns dabei konkret vor, einerseits als Ablauf, andererseits als Endergebnis?

Glauben wir, daß mehr oder bessere Integration der Einwanderer ein Mittel sei, die Fremdenfeindlichkeit unter den Einheimischen abzuschwächen oder sogar ganz zum Verschwinden zu bringen?

Können Leute mit nichtweißer Hautfarbe auch integriert werden?

Ist es Teil der Integration, daß Einwanderer die Vorgesetzten von Einheimischen sind oder werden? Bei Frauen ist es noch immer eine Sensation, wenn sie die Vorgesetzten oder die Chefinnen von Männern sind. Das bedarf stets einer Rechtfertigung, meistens jene nachträglich vorgebrachte, daß die betreffende Frau in irgendeiner Weise außerordentlich (und damit implizit unfraulich) sei.

Ist politische Partizipation Teil der Integration? Vor 100 Jahren hat man sich sehr ernsthafte Gedanken gemacht, ob Frauen in den politischen Prozeß integriert werden könnten. Tiefe Ängste waren damit verbunden.

Soweit zu den Fragen. Mit dem Ausdruck "sich integrieren" wird immer suggeriert, wir seien total offen und warteten nur ungeduldig, daß die Einwanderer sich endlich zu uns gesellen. Wir tun beleidigt, als ob wir schon zu lange auf eine Verabredung warteten. Die Wirklichkeit ist eine andere. Die Gewerkschaft erklärt jede Woche, das Arbeitsmarktboot sei voll, die Wirtschaftskammer, das Gewerbeboot sei voll. In den Betrieben und Gremien sperren die Männer sich gegen das Vorrücken der Frauen und die Einheimischen gegen das der Einwanderer. Wie soll es Integration geben, wenn es diese Barrieren gibt? In Wahrheit wehren wir uns mit Händen und Füßen gegen die Integration. Sache ist aber, daß sie trotzdem stattfindet, in anderen Bereichen, auf andere Weisen. Wir können uns nur gegen die Integration - auch jene der Frauen! - in die Strukturen der Gesellschaft wehren, nicht gegen die Übernahme der Sprache und Sprechweisen, der Kleidung, des Sozialverhaltens usw. Soweit reicht unsere Macht über die Einwanderer nicht.

 

2. Integration

Die Frage ist nur, hilft es uns wirklich, wenn die Leute perfekt Deutsch sprechen, aber ihr Deutsch deutlich als das einer bestimmten Schicht erkennbar ist. Was, wenn zusätzlich auch alles andere, ihre Berufe, ihre Wohngegenden, ihre Kleidung, ihr Verhalten uns mitteilen, daß sie zu einer anderen sozialen Schicht gehören? Haben wir dann durch diese Art der Integration irgendetwas gewonnen? Wohl eher nicht. Es geht offenbar nicht darum, gleich mit einfach irgendwem zu werden, sondern akzeptabel für die Mehrzahl. Die Mehrzahl aber ist die Mittelschicht, jedenfalls in Österreich. Daher geht es um die Integration in die sozial und politisch dominante Mittelschicht. Aber was heißt das und wie geht das?

Das heißt erstens, Einkommen und Berufe wie die Mittelschicht zu haben. Dahin kann man es nur bringen, wenn man auf den Arbeitsmarkt gelassen wird zum einen, aber dort dann auch in bessere Positionen aufsteigen darf. Die Stichworte sind Inklusion und Mobilität. Beide sind Grundkomponenten jeder Integration (Gächter 1999).

Zweitens ist Integration in die Mittelschicht ein individueller Vorgang. Die eine wird Ingenieurin, der andere Filialleiter, die dritte Bankbedienstete, der vierte Beamter, und die einen werden es früher, die anderen ein paar Jahre später. Zeitpunkt und Beruf wirken auf den Bekanntenkreis, die Wahl der Wohngegend und vieles mehr an Äußerlichkeiten und Auffassungen. Wichtig für den außenstehenden Betrachter - egal ob Wissenschaftler oder Politiker - ist zu wissen, daß nicht alle gleichzeitig aufsteigen, aber alle früher oder später, und daß nicht alle das auf die selbe Art und Weise tun, und daß nicht aus allen das selbe wird. Und wichtig ist auch, zu sehen, daß der Aufenthalt in der Unterschicht zeitlich begrenzt war, eine Durchgangsphase für die jeweilige Person oder Familie. Das heißt, eine realistische Politik betont das Individuum und kann auch gar nicht anders. Das ist dann in sich bereits ein wichtiger Beitrag zur Abschwächung der Fremdenfeindlichkeit bzw. des Rassismus. (Das sind zwei Wörter für das vollkommen gleiche Phänomen, und Sexismus ist ein drittes. In allen Fällen werden Beobachtungen generalisiert, totalisiert und verabsolutiert, ohne daß der oder die Einzelne noch eine Chance bekommt, sich dagegen als Person zur Geltung zu bringen). Die Frage ist, ob Inklusion und sozialer Aufstieg sich in Österreich ereignen. Darauf kommen wir weiter unten zurück, und die Antwort wird ambivalent sein.

Das also ist Integration. Sehr viel davon, insbesondere in puncto Mobilität, ereignet sich im

Generationswechsel, wenn nicht von der Einwanderergeneration zu den Kindern, dann zu den Enkeln. Bei der Einwanderergeneration selbst ereignet sich aber in vielen Fällen das Gegenteil. Zwar hatten bei der Volkszählung 1991 61% der ausländischen Berufstätigen nur höchstens die Pflichtschule abgeschlossen (gegenüber 26% bei den Österreichern), aber 65% arbeiteten als un- oder angelernte Arbeiter (gegenüber 22% bei den Österreichern) (Bauer 1996:421). Das heißt, daß mindestens etwa 4% - das sind mehr als 10.000 Personen - der ausländischen Berufstätigen in Hilfs- und Anlerntätigkeiten eine höhere Ausbildung hatten als ihrer Beschäftigung entsprach. Das wird auf anderen Bildungsebenen wahrscheinlich ähnlich sein. Leider lassen die veröffentlichten Daten diesbezüglich keine Beurteilung zu. Für diese Dequalifizierungen ist zum Teil die rechtliche Lage verantwortlich (Gächter 1999), zum Teil der Widerstand hiesiger Gremien gegen die Nostrifizierung von im Ausland erworbenen Qualifikationen und zum Teil vermutlich ein - behebbarer - Mangel an Deutschkenntnissen. Die Situation ist kurios. Einerseits stellen die höher ausgebildeten Migranten einen Verlust an Können und Wissen ("brain drain") für das Herkunftsland dar, andererseits wird dieses Können und Wissen dann im Zielland nicht verwertet; es geht der Weltwirtschaft einfach verloren. Wenn die drei genannten Hindernisse - Recht, Gremien, Deutschkenntnisse - ausgeräumt würden, dann könnte Österreich auf relativ preisgünstige Weise zu qualifizierten Arbeitskräften kommen.

Es wäre aber Sozialromantik zu glauben, die Sache sei mit der Integration in die Mittelschicht erledigt. Sie ist es auf zweifache Weise nicht. Erstens heißt sozialer Aufstieg der Personen, daß sie in bessere Beschäftigungen aufrücken. Das heißt aber selbstverständlich nicht, daß die schlechteren Beschäftigungen damit verschwinden. Die bleiben erhalten und sind aus der Struktur der Wirtschaft auch gar nicht wegzudenken. Das heißt, für sie sind neue Arbeitskräfte erforderlich. Diese müssen irgendwo gefunden werden. Ein Ausweg ist, und er wird zum Teil beschritten, diese Tätigkeiten von Leuten quasi nebenbei verrichten zu lassen, die in ihrer biografisch entscheidenden Haupttätigkeit zum Beispiel studieren oder einem anderen Beruf (an einem anderen Ort zu anderen Zeiten des Jahres) nachgehen oder die eigenen Kinder erziehen. Das geht bei einigen der schlechten Arbeitsplätze, aber nicht bei allen. Die anderen werden von immer wieder neuen Einwanderern ausgefüllt werden, ob legal oder illegal. Einwanderer befinden sich, zumindest für eine Weile, ja auch in einer biografischen Ausnahmesituation. Das macht Arbeitsplätze für sie akzeptabel, die sie "zu Hause" vielleicht nie annehmen würden. Es macht diese Arbeitsplätze aber eben nicht auf Dauer akzeptabel und sicher nicht für ihre Kinder. Daraus ergibt sich, daß Integration ein fortwährender Prozeß ist in der Gesellschaft. In dem Maß, wie die früher gekommenen integriert werden, sind neue Zuwanderer für die stets existierenden weniger akzeptablen Arbeitsplätze nötig, die ihrerseits wieder integriert werden müssen, und so fort bis in die ferne Zukunft. Ein Slogan wie "Integration vor Neuzuzug" versucht das zu negieren. Er hantiert mit der Illusion, Integration könne ein für allemal erledigt werden; sie sei eine zeitlich begrenzte Aufgabe der Politik. Das ist nicht der Fall, und es wäre besser, diese Illusion weder bei sich selbst noch bei den Wählern aufkommen zu lassen.

Zweitens wird im Verlauf der Integration in die Mittelschicht ein Teil der Integrierten sozusagen unsichtbar, nämlich ununterscheidbar von den noch länger Ansässigen. Ein Teil aber bleibt wegen der Hautfarbe oder der Augenform oder auch wegen religiöser Vorschriften immer unterscheidbar, so integriert sie sein mögen. Es gibt das Beispiel der Diplomingenieure, teils eingebürgert, teils nicht, die als Software Entwickler in einer sehr großen Firma das Gefühl haben, ihre Fehler würden als viel gravierender betrachtet und viel härter geahndet, als jene der einheimischen Kollegen im selben Büro. Integration schützt nicht davor, auch weiterhin der informellen Diskriminierung, dem alltäglichen Rassismus ausgesetzt zu sein. Sie brauchen, ebenso wie die Frauen das gebraucht haben, das Antidiskriminierungsgesetz als Hilfsmittel, um ihre Rechte, ihre Menschenrechte und ihre Menschenwürde zu verteidigen und zur Geltung zu bringen (Wrench 1999). Diese Aufgabe, die Diskriminierung und den Rassismus im Zaum zu halten, bleibt bei aller Integration für immer und ewig bestehen, selbst wenn es einmal keinen Neuzuzug mehr gäbe, und sie ist eine staatliche Aufgabe, wobei Staatlichkeit die Landes-, Bezirks- und Gemeindeebene inkludiert.

Didier Lapeyronnie (1995) hat in europäischen Städten drei Formen des politischen und

administrativen Umgangs mit der informellen Diskriminierung und dem alltäglichen Rassismus gefunden. Die eine, beispielhaft in Birmingham angewandt, ist Politik der gleichen Chancen. Die Stadt selbst ging mit gutem Vorbild voran und erhöhte den Anteil der verschiedenen Einwanderergruppen und Minderheiten an den städtischen Bediensteten auf den Anteil der jeweiligen Gruppe an der städtischen Bevölkerung (vgl. Perchinig 1999). Die zweite, am Beispiel Den Haags dargestellt, sind Schulungsaktivitäten vor allem, aber nicht nur, für den öffentlichen Dienst, besonders die Polizei, um rassistische Einstellungen bewußt zu machen und an sich selbst kontrollieren zu lernen. Die dritte, exemplarisch in einigen Stadtteilen Stockholms angewandt, ist die Gestaltung der Beziehungen zwischen den Einheimischen und den Einwanderern durch gemeinsame Aktivitäten, durch Konfliktmanagement und durch bessere Interaktionsmöglichkeiten. Keine der drei ist problemlos, alle können auch kritisiert werden (z.B. Edwards 1997), und die Aufzählung ist vielleicht auch nicht vollständig. Kritik ist generell als unerläßliches Mittel zur Verbesserung zu sehen. Es ist wichtig, darauf einzugehen, von wem auch immer sie kommen mag. Erst wenn nachweislich nichts als eine persönliche Marotte die Motivation ist, kann die Kritik unbeachtet bleiben.

Punktuell gibt es in Österreich vergleichbare städtische Aktivitäten. So gibt es, etwa, Schulungen für die Polizei und der Wiener Integrationsfonds wird in einer Reihe von Stadtteilen als Konfliktmanager eingesetzt.

 

3. Integrationstheorie

Theorie ist, wenn man Beobachtungen verallgemeinert, oder wenn man aus Beobachtungen Erwartungen formt. Wir tun das alle die ganze Zeit. Wissenschaft hebt sich nur dadurch ab, daß die Beobachtung systematisch betrieben wird und die Theoriebildung bewußt. Im Alltag - auch die Politik ist Alltag - erfolgen Beobachtungen dagegen beliebig und selektiv und die Verallgemeinerungen und Prognosen entstehen unbewußt. Sie werden damit zu Vorurteilen. Auch Wissenschaftler stehen selbstverständlich im Alltag, sind aber beruflich dazu angehalten, ihren un-, unter- und vorbewußten Theoriebildungen nachzuspüren, sie sich bewußt zu machen, und sie mit Hilfe anerkannter Methoden der Beobachtung und der Theoriebildung zu systematisieren.

Wie steht es um die wissenschaftliche Theoriebildung zu Integration? Nun, es gibt keine. Versucht man, einen eindeutig definierten Begriff von Integration zu entwickeln, so stößt man vor allem auf das Hindernis, daß es sich um ein ganzes Bündel von nur lose verknüpften Vorgängen handelt, die nicht gemeinsam unter einen Begriff subsumiert werden können, teils einfach weil das Ganze zu komplex wäre. Folglich gibt es empirische Untersuchungen zu vielen Einzelbereichen und Spezialisten für jeden von diesen. Die einen beschäftigen sich mit der (ungleichen) räumlichen Verteilung von Einwanderern, die anderen mit der (ungleichen) Verteilung in der Sozialstruktur, die dritten mit der (ungleichen) Verteilung der Sprachkenntnisse, noch andere mit der Fertilität, der Familienstruktur, den Mustern der Eheschließung, dem Religionswechsel, dem Unternehmertum, der politischen Partizipation, dem Zugang zum Recht usw. usf. In Österreich gibt es von dem allen sehr wenig. Auf den Universitäten wird es kaum gelehrt, Auftragsforschung gibt es ebenfalls kaum, und, vielleicht ursächlich für die ersten beiden, es gibt kein klares Bekenntnis dazu, ein Land der Niederlassung und folglich der Integration zu sein.

 

4. Mobilität in Österreich

Die Antwort auf die oben gestellte Frage, ob Inklusion und Mobilität sich in Österreich ereignen, ist ein dezidiertes "ja und nein." Der Wohlstand der ausländischen Staatsangehörigen steigt, er entfernt sich immer mehr vom Niveau der Neuankömmlinge, aber gleichzeitig nähert er sich nicht an jenen der österreichischen Staatsangehörigen an. Der Abstand beim Wohlstand - begriffen als Jahresbruttoeinkommen pro Erwachsenenäquivalent der jeweiligen, noch nicht im Pensionsalter befindlichen Bevölkerung - betrug 1988 rund ATS 66.300; 1994 und 1995 betrug der Abstand rund ATS 64.500. Der gleichbleibende Abstand kommt daher, daß der Wohlstand der Inländer und Ausländer parallel ansteigt. Das trifft bei Staatsangehörigen des ehemaligen Jugoslawien genauso zu wie bei jenen der Türkei oder von anderen Staaten. Die Tabellen geben die wesentlichen Daten nach Staatsangehörigkeit im Zeitverlauf wieder. Für 1996 und 1997 lagen von Seiten der Sozialversicherung nur unvollständige Daten vor.

Tabelle 1: Wohlstand (jährliches Bruttoeinkommen pro Erwachsenenäquivalent) nach Staatsangehörigkeit (ATS)

 

Österreich

Ausland

ehem. YU

Türkei

Sonst

1989

104.244

53.686

71.775

51.515

35.976

1990

113.450

50.931

66.172

51.772

35.032

1991

121.195

66.021

78.278

64.408

54.319

1992

131.113

72.839

81.487

71.447

63.865

1993

136.871

74.150

79.421

71.870

68.813

1994

143.460

78.859

85.949

76.659

71.143

1995

149.268

84.825

94.430

81.058

75.094

1996

 

 

91.820

75.968

 

1997

 

 

101.978

84.060

 

1998

158.783

92.437

105.666

87.255

79.453

Quelle: Eigene Berechnungen.

Tabelle 2: Abstand zum Wohlstand der Inländer nach Staatsangehörigkeit (ATS)

 

Ausland

ehem. YU

Türkei

Sonst

1989

50.558

32.469

52.729

68.268

1990

62.519

47.278

61.678

78.418

1991

55.174

42.917

56.787

66.876

1992

58.274

49.626

59.666

67.248

1993

62.721

57.450

65.001

68.058

1994

64.602

57.512

66.802

72.318

1995

64.442

54.838

68.210

74.174

1996

 

 

 

 

1997

 

 

 

 

1998

66.346

53.117

71.528

79.330

Quelle: Eigene Berechnungen.

Tabelle 3: Der Wohlstand nach Staatsangehörigkeit relativ zu jenem der Inländer (Prozent)

 

Ausland

ehem. YU

Türkei

Sonst

1989

51,5

68,9

49,4

34,5

1990

44,9

58,3

45,6

30,9

1991

54,5

64,6

53,1

44,8

1992

55,6

62,2

54,5

48,7

1993

54,2

58,0

52,5

50,3

1994

55,0

59,9

53,4

49,6

1995

56,8

63,3

54,3

50,3

1996

 

 

 

 

1997

 

 

 

 

1998

58,2

66,5

55,0

50,0

Quelle: Eigene Berechnungen.

Die Steigerung des Wohlstands geht unter anderem auch auf eine Steigerung der Jahresbruttoeinkommen zurück und diese zum Teil auf die Steigerung der Monatsbruttoeinkommen. Im Vergleich dazu sind die Monatsbruttoeinkommen der erstmals Beschäftigten mit ausländischer Staatsangehörigkeit in der Zeit von 1989 bis 1995 bei einigem Auf und Ab der Tendenz nach unverändert geblieben. Neuere Daten liegen nicht vor.

Tabelle 4: Die durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommen von vor 1988 erstmals beschäftigten bzw. von im ersten Jahr befindlichen ausländischen Arbeitnehmern jeweils bei Antritt einer neuen Beschäftigung (ATS)

 

Gesamt

vor 1988

Neue

Neue im Vergleich zu vor 1988 (%)

1988

14.302

14.609

13.552

92,8

1989

14.248

14.981

13.493

90,1

1990

14.373

15.691

13.390

85,3

1991

15.101

16.545

14.021

84,7

1992

15.825

17.678

14.147

80,0

1993

16.623

18.971

14.565

76,8

1994

17.093

19.498

14.158

72,6

1995

17.156

19.145

14.621

76,4

Quelle: Stichprobe aus Sozialversicherungsdaten; eigene Berechnungen.

 

Die Entwicklung zeigt, daß ausländische Beschäftigte von den kollektivvertraglichen Steigerungen ebenso profitieren wie die inländischen. Sie zeigt aber auch, daß ein beruflicher Aufstieg in besser bezahlte Positionen offenbar bisher nicht stattfindet (vgl. Göhring 1999a, 1999b).

 

5. Inklusion in Österreich

So viel zur sozialen Mobilität. Wie steht es mit der Inklusion in das Beschäftigungssystem? Die Existenz des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, bzw. seine umfassende Anwendung auch auf die im Inland niedergelassene ausländische Wohnbevölkerung, beweist, daß das Vollbeschäftigungsziel in der österreichischen Politik nur für Inländer gilt. Trotz Aufenthaltsverfestigung besteht die Vorstellung weiter, Vollbeschäftigung lasse sich durch Beschäftigung der einen und Ausweisung der anderen realisieren.

Vom Slogan "Integration vor Neuzuzug" wurde weiter oben schon gesagt, er sei illusionär, weil er zu suggerieren versucht, der soziale Aufstieg von Einwanderern könne ohne Zuzug neuer Einwanderer ablaufen. Dieser Einwand greift, im Grunde, der österreichischen politischen Realität weit vor, denn so wie "Integration" in dem Slogan gemeint ist, hat sie mit sozialem Aufstieg eigentlich nichts zu tun. Dort ist "Integration" ja nur so gemeint, daß die im Inland niedergelassenen Reserven für Beschäftigung in den schlechten Arbeitsplätzen zuerst aufgebraucht werden sollen, ehe neue Zuwanderung zugelassen wird. In dem Slogan geht es in seiner österreichischen Ausprägung rein um Inklusion und nicht um Mobilität. Er kam in die Welt, weil 1994 und 1995 immer wieder von rund 60.000 regulär niedergelassenen ausländischen Staatsangehörigen die Rede war, die darauf warteten, zum Arbeitsmarkt zugelassen zu werden. Diese Zahl basierte auf der Annahme, die Erwerbsquote der Volkszählung 1991 wäre in den Folgejahren mehr oder weniger stabil geblieben, wenn nicht mittels des Ausländerbeschäftigungsgesetzes interveniert worden wäre. Die Annahme schien umso plausibler, als die beiden Volkszählungen Mai 1981 und Mai 1991 bei der Erwerbsquote der ausländischen Staatsangehörigen recht ähnliche Ergebnisse zeigten. Wäre sie richtig, dann wären heute nicht 60.000, sondern mehr als 70.000 Personen durch das AuslBG am Zugang zum Arbeitsmarkt gehindert. Nun war es aber so, daß die ausländische Wohnbevölkerung im Mai 1991 nur rund 517.000 Personen umfaßte, sich danach aber bis 1994 auf 713.500 steigerte, also um fast 200.000. Die Annahme, daß während einer solchen Zunahme die Erwerbsneigung unverändert bleibe, ist waghalsig und im konkreten Fall auch falsch.

Als Argument für eine derartige Wirksamkeit des AuslBG werden die jährlichen Ablehnungen an erstmaligen Beschäftigungsbewilligungen angeführt. Davon gab es 1992 einen Spitzenwert von 48.002 und 1995 eine anteilsmäßige Spitze von 55,0% gemessen an der Zahl der Anträge. Zuletzt wurden 8.432 oder 35,7% (1997) bzw. 9.327 oder 37,6% (1998) der Anträge abgelehnt. Die Ablehnungen sind aber kein Beweis und sogar nur ein sehr schwaches Indiz. Daran läßt sich nicht erkennen, wie viele Personen letztlich aus dem Arbeitsmarkt ferngehalten wurden. Ein Antragsteller mag zwei-, drei-, fünfmal abgelehnt werden und bekommt beim sechsten oder zehnten Mal dennoch die Bewilligung. Auf diese Weise gibt es zwar doch zu jeder Zeit Leute, die ausgeschlossen werden, aber stets nur für eine begrenzte Zeit, sodaß der Rückstau nicht dauernd größer wird. In Wirklichkeit scheint vor allem das Wirtschaftswachstum auf die Erwerbsquote - das ist der Anteil der Beschäftigten und Arbeitslosen an der Wohnbevölkerung in erwerbsfähigem Alter - der ausländischen Staatsangehörigen zu wirken. Wenn das Wirtschaftswachstum im Durchschnitt zweier Jahre eine Größe von zwei bis zweieinhalb Prozent übersteigt, dann nimmt die Erwerbsquote im jeweils zweiten Jahr zu, ansonsten nimmt sie ab. Ausnahmen davon bilden in gewissem Maß die Jahre 1992 und 1993, als die Erwerbsquote stark zurückging, stärker als es dem Wirtschaftswachstum entsprochen hätte, und zwar obwohl das noch Jahre mit relativ vielen erstmaligen Erteilungen waren. In den Folgejahren ging die Erwerbsquote nicht mehr zurück, obwohl die Erteilungen von Beschäftigungsbewilligungen und von solchen Befreiungsscheinen, die zum erstmaligen Zugang zum Arbeitsmarkt berechtigten, nun wesentlich unter dem Niveau von 1992 und 1993 lagen.

Dieser Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Erwerbsquote besteht bei den Männern und nur deshalb auch insgesamt. Bei den Frauen besteht er nicht und auch andere Variablen, wie etwa sich verändernde Kinderzahlen oder die Erteilungspraxis, sind nicht in der Lage, den Rückgang der Erwerbsquote nach 1991 zu erklären. Es bleibt letztlich nur die Vermutung, die ab 1992 zuziehenden Frauen – Stichwort Bosnien – hätten von sich aus wenig Absicht gehabt, eine Beschäftigung zu suchen.

Beides zusammen – daß die Erwerbsquote bei den Männern in ihren Veränderungen stark auf das Wirtschaftswachstum reagiert und bei den Frauen auf keine der üblichen Variablen – läßt vermuten, daß die Bestimmungen des AuslBG und deren Handhabung durch die Behörden wenig entscheidend waren. Das würde nicht ausschließen, daß in den Haushalten Beschäftigungswillige "geparkt" sind, aber es würde bedeuten, daß sie vor allem auf ein Signal der Arbeitgeber warten und nicht der Behörden oder des Gesetzgebers. Hier paßt ins Bild, daß es schon 1996 rund 25.000 Inhaber von Arbeitserlaubnissen oder Befreiungsscheinen gab, die weder beschäftigt waren noch arbeitslos gemeldet. Die Zahl ist seither mit Sicherheit größer geworden.

Wenn Arbeitskräfte am Markt schlecht unterkommen, dann wurden sie in der Vergangenheit langfristig sozial versorgt. Bei ausländischen Staatsangehörigen war das nicht nötig, weil sie gesetzlich unter Druck standen, entweder ein Einkommen zu haben oder ihren Wohnsitz in Österreich aufzugeben (Gächter 1998). In beiden Punkten hat sich die Situation inzwischen gewandelt. Heute werden Arbeitskräfte, deren Chancen am Arbeitsmarkt schlecht sind, zunehmend umgeschult. Unter dem Stichwort der "employability" wird das auch von der EU in den Nationalen Aktionsplänen (NAP) forciert. Gleichzeitig hat der Verfassungsgerichtshof durchgesetzt, daß die ausländischen Staatsangehörigen seit 1. August 1999 nur mehr zu kleinem Teil von den langfristigen Leistungen der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen sind. Die erste Folge davon wird sein, daß ausländische Arbeitslose nicht mehr nach einer gewissen Zeit aus der Statistik verschwinden können, und daß daher die offizielle Arbeitslosenrate steigen wird. Das stellt die Sozialpartner als Quasieigentümer des AMS vor die Aufgabe, auch die ausländischen Arbeitnehmer in beschäftigungsförderliche Maßnahmen einzubeziehen. Vielleicht führt das zu einer Renaissance der AMS-finanzierten Sprachkurse, vielleicht hat das aber auch wesentlich weiter reichende Folgen bis hin zu der lange überfälligen Einsicht, daß das AuslBG obsolet geworden ist. Danach wird dann der Weg frei sein, auch die Kriterien Staatsangehörigkeit und Herkunft in die bestehenden Diskriminierungsverbote einzubeziehen.

 

6. Schlußbemerkungen

Zwischen Juni 1997 und Juli 1999 hat es wichtige Weichenstellungen gegeben, die das österreichische Recht deutlich integrationsfreundlicher machen als zuvor. Mehr oder weniger zwangsläufig machen sie weitere Anpassungen unabdingbar, nicht nur im Arbeits- und im Sozialrecht, sondern auch im öffentlichen und geförderten Wohnbau und im Bereich Bildung, Ausbildung und Fortbildung. Wirklich dringende Integrationsschritte aber sind bei der politischen Partizipation in weitestem Sinn zu unternehmen. Das passive Wahlrecht zum Betriebsrat und zu den Kammern muß endlich außer Streit gestellt werden. Es gibt kein einziges stichhaltiges Argument dagegen (Pühretmayer 1999). Schließlich, was wahrscheinlich noch wichtiger ist, die staatlichen Funktionsträger müssen rasch aufhören, Einwanderer und auch Einwanderung ständig als Bedrohung darzustellen. Sie müssen statt dessen die Zuversicht verbreiten, daß Einwanderung nicht bloß bewältigbar ist, sondern notwendig und nützlich, und daß, davon abgesehen, auch Einwanderer, ob legal oder illegal, ob niedergelassen oder neu zugezogen, Leute sind, weshalb ihnen ein Mindestmaß an Respekt entgegengebracht werden muß.

Und, um das abschließend zu wiederholen, "Integration vor Neuzuzug" ist eine Illusion. Integration bedingt Neuzuzug. Österreich kann nicht bei der Einsicht stehen bleiben, daß es in den letzten 35 Jahren ein Einwanderungsland war, sondern es muß auch begreifen, daß es immer ein Einwanderungsland sein wird, und daß niemandem gedient ist, sich vor dieser Tatsache zu verschließen.

 

Literaturangaben

Arbeitsmarktservice (Hg.) (1998) Die Integration von AusländerInnen in Österreich. Report 6; Wien: AMS

Bauer, Adelheid (1996) Volkszählung 1991: Berufstätigkeit von Ausländern und Ausländerinnen; Statistische Nachrichten 51/6:417-425

Edwards, John (1997) On What 'Ought' To Be: The Flaw in Employment Equality Practice for Minorities; New Community 23/2:233-248

Fassmann, Heinz/ Matuschek, Helga/ Menasse, Elisabeth (Hg.) (1999) abgrenzen.ausgrenzen.aufnehmen. Empirische Befunde zu Fremdenfeindlichkeit und Integration; Klagenfurt: Drava

Gächter, August (1998) Rechtliche Rahmenbedingungen und ihre Konsequenzen; in: AMS (Hg.) 1998:10-26

Gächter, August (1999) Einstieg und Aufstieg. Ziele berufspädagogischer Interventionen; Isotopia 15:35-54

Göhring, Silvia (1999a) Berufsbezogene Qualifikation: Erzählen heißt, Menschen entstehen zu lassen. Keine Fiktion; Zebratl 2/99:12-13

Göhring, Silvia (1999b) Karriere ins Leere. Ein Bericht über berufliche Partizipationsmöglichkeiten von MigrantInnen; Isotopia 15:80-93

Lapeyronnie, Didier (1995) Urban Development and Migration: The Integration of Immigrant Minorities in Europe; paper presented to the Working Party on Migration, OECD Employment, Labour and Social Affairs Committee

Perchinig, Bernhard (1999) Migranten- und Minderheitenpolitik; in: Fassmann u.a. (Hg.) 1999:161-200

Pühretmayer, Hans (1999) Das passive Wahlrecht für Migranten und Migrantinnen zum Betriebsrat in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich. Ein Vergleich; Wien: Arbeiterkammer

Wrench, John (1999) The Problem of 'No Problem': Discrimination in the European Labour Market; Isotopia 15:27-34

Der Text gibt zwei Referate wieder, die am 4. November 1999 beim Symposion "Mittendrin und trotzdem draußen. Ein Leben zwischen Anpassung und Ausgrenzung - Zeit für eine neue Migrationspolitik" in Linz gehalten wurden.