Halal oder nicht- Gedanken über einige Lebensmittel

Prof. Dr. Herbert Buckenhüskes
Hemmingen


1. Einleitung

Wie alle Lebewesen in der Natur, ist der Mensch darauf angewiesen, zum Wachstum, zur Aufrechterhaltung seiner körperlichen Funktionen sowie zur Verrichtung von Arbeit Wasser und Nahrung aufzunehmen. Da er sich auf grund des Willens des Schöpfers durch den Verstand vom Tier unterscheidet, hat sich der Mensch die ethische Frage zu stellen, ob er wie die Tiere dazu berechtigt ist, andere Formen des Lebens als Nahrung zu verwenden.

Für die Muslime wird diese Frage im Grundsätzlichen durch eine Viel-zahl von Zitaten im Korn, beantwortet, wonach sowohl Pflanzen [10. Sure Vers 251 als auch Milch [23. Sure Vers 22], Honig [16. Sure Vers 70]. Land -[22. Sure Vers 311 und Wassertiere [16. Sure Vers 15] grundsätzlich als Nahrung verzehrt werden dürfen. Ausdrücklich als Nahrungsmittel verboten sind nur wenige Dinge: »Euch ist nur verboten: das was verendet ist und Blut und Schweinefleisch. und was nicht im Namen Allahs geschlachtet ist [2. Sure Vers 174 oder 6. Sure Vers 146]. Nicht im Koran festgelegt, aber übereinstimmend von allen Imamen als unrein erklärt und deshalb zum Verkehr und Verzehr in Islamischen Ländern untersagt, sind alle Insekten, wilde Tiere, die Reißzähne haben wie Löwen, Tiger, Wölfe, Hunde oder Leoparden, Raubvögel wie Falken. Geier und Adler, Tiere welche keine Ohren ha-ben wie Frösche, sowie giftige Tiere wie etwa Giftschlangen (SALEH. 1972; TWAIGERY und SPILLMANN, 1989). Abgeschlossen wird die Liste der eindeu-tig verbotenen Dinge mit dem Alkohol.

Für das, was erlaubt, rein oder zugelassen ist, wird im Koran der Begriff halal verwendet. Im Gegensatz zu halal steht das Wort haram was verboten bedeutet. Angesichts der mit großer Geschwindigkeit voranschreitenden Globalisierung des Welthandels sind Bestrebungen der islamischen Welt festzustellen, den Begriff halal über den Codex Alimentarius weltweit le-bensmittelrechtlich zu verankern.
 

Die Entscheidung darüber, ob ein Lebensmittel im Sinne des Islam als halal oder als haram einzustufen ist, scheint also auf den ersten Blick durch die Gebote des Koran eindeutig geregelt zu sein. Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass dies durchaus nicht der Fall ist und dass das zu-nehmende Wissen um die Grundlagen der Ernährung, der stofflichen Zu-sammensetzung unserer Lebensmittel, der Vorgänge bei der Herstellung. Lagerung und Zubereitung von Nahrungsmitteln und nicht zuletzt auch die technologischen Möglichkeiten der modernen Lebensmittel- und Biotechno-logie einen Disskussionsbedarf bedingen. Lebensmittelexperten und islami-sche Theologen sind zu einem, gemeinsamen Dialog aufgerufen, um zu einer gültigen und allseits akzeptierbaren Urteilsfindung zu gelangen. Diese Diskussion ist durchaus nicht nur von akademisch-theologischem Interesse, vielmehr ist sie im Sinne jedes einzelnen Gläubigen geboten: Als Bürger ei-ner bereits heute in vielen Ländern realisierten, praktisch unbeschränkter Informations- und Kommunikationsgesellschaft werden sie täglich mit einer Flut von Informationen aus allen Lebensbereichen überschüttet, die sie zwangsläufig vielfach weder sachlich noch fachlich im Detail zu beurteilen und einzuschätzen vermögen. Nachvollziehbare Beurteilungshilfen und damit Orientierung. Sicherheit und Halt anzubieten ist eine der vornehmen Aufgaben von Theologen und Fachleuten in den verschiedenen Disziplinen.

Die sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen können im Rahmen dieses Vortrages nur angerissen werden, und es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Beabsichtigtes Ziel ist es vielmehr, die Notwendigkeit eines Dialoges zwischen Lebensmittelwissenschaftlern und islamischen Theologen aufzuzeigen und diesen zu initiieren.
 

2 Alles was zuträglich und gesund ist

Obwohl im Koran verschiedene Pflanzen und Tiere speziell als Nahrungsmittel angesprochen werden, gibt es keine Hinweise darauf dass irgendwelche Dinge der belebten oder unbelebten Natur speziell mit dem Ziel geschaffen wurden, dem Menschen als Nahrung zu dienen; die einzige Ausnahme die Muttermilch, um den Säugling in den ersten bis zu 24 Lebensmonat [2. Sure Vers 234] sicher und ausgewogen ernähren zu können. Diese Einschränkung kommt auch in der 5. Sure Vers 5 zum Ausdruck: „Sie werden dich fragen, was innen zu essen erlaubt sei. Antwortet: Alles was zuträglich und gesund ist, ist erlaubt.“ Soweit es sich also nicht um die eindeutig verbotenen Dinge handelt, ist es somit Aufgabe des Menschen herauszufinden, was für ihn zuträglich und gesund ist und was nicht.

Über Jahrtausende erfolgte dies über den permanenten und steinigen Weg von Versuch und Irrtum, auf dem sich in den verschiedenen Kulturen äußerst fest verwurzelte Nahrungsmitteltraditionen und eine regelrechte Neophobie gegenüber neuen Lebensmitteln herausgebildet haben. So sehr diese den Menschen davor schützen, etwas Unrechtes zu essen, so gefähr-lich können sie zu Zeiten werden, in denen die herkömmlichen Lebensmittel nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen und ungewohnte an-dersartige Lebensmittel nicht verzehrt werden.

Nachdem der Aspekt der kalorischen Bedarfsdeckung in vielen Ländern nicht mehr im Vordergrund steht und die Menschen im Mittel wesentlich älter werden als früher, stellt sich die Frage nach dem was zuträglich ist in einem ganz anderen Zusammenhang.

Angesichts des zunehmenden Wissens um den Aufbau und die Zu-sammensetzung unserer Lebensmittel sowie der in immer kleinere Dimensionen vordringenden Möglichkeiten der modernen Analytik muss die Forde-rung nach Abwesenheit toxischer Stoffe sowie solcher, welche die Verträg-lichkeit beeinflussen können, äußerst differenziert betrachtet werden. Es ist heute davon auszugehen, dass es kein Lebensmittel gibt. in dem nicht ir-gendeine Substanz enthalten ist, die zumindest in isolierter Form und ab ei-ner bestimmten Konzentration als toxikologisch bedenklich eingestuft wer-den muss. Cyanglycoside in Cassava. Solanin in grünen Kartoffeln und Tomaten oder das derzeit besonders diskutierte Cumarin in Zimt sind nur einige Beispiele, Weitere Themengebiete betreffen das mögliche Vorkom-men von Mykotoxinen in Rohstoffen, die angeschimmelt sind oder waren sowie das Vorkommen von Pflanzenschutzmittel- und Tierarzneimittelrück-ständen oder das von Umweltchemikalien. Und nicht zuletzt muss ange-sichts der zunehmenden Klagen über Allergien darauf hingewiesen werden, dass verschiedene rohe pflanzliche Lebensmittel zu den stärksten bekann-ten Allergenen überhaupt zählen.

Mit derartigen Informationen konfrontiert, stellt sich für den einfachen Gläubigen die Frage nach dem „was zuträglich und gesund ist“ und was er dann im Einklang mit dem Koran aber auch seiner ureigenen gesundheitlichen Interessen überhaupt noch essen darf. Eine Antwort auf diese Frage kann meines Erachtens aus folgenden Argumenten abgeleitet werden:

1. Viele Lebensmittel haben eine Jahrtausende lange Tradition und damit ihre generelle Unbedenklichkeit erwiesen. Überdies hat der menschli-che Organismus während dieser Zeit umfangreiche Adaptationsmechanismen entwickelt, so dass wir bei deren Genuß in üblichen Mengen keine generellen Sorgen zu haben brauchen.

2. von den meisten der als bedenklich angesehenen Stoffe, die in Lebensmitteln nachgewiesen wurden, ist uns bisher im wesentlichen die Wirkung in isolierter Form bekannt. Andererseits können in einem komplexen Lebensmittel aber durchaus Bedingungen herrschen, die eine mögliche negative Wirkung zu kompensieren oder auszuschalten vermögen.

3. Es ist bekannt, dass einzelne Menschen verschieden auf unterschiedliche Lebensmittel reagieren können. Vor diesem Hintergrund kann ein Lebensmittel nicht dadurch seinen halal-Charakter verlieren, dass es einige Menschen gibt, die unter wie auch immer bedingten Unverträg-lichkeitssymptomen leiden.

4. Das Vorkommen von natürlicherweise vorhandenen bedenklichen Stof-fen kann durch sachgerechte Handhabung des Rohstoffes derart kontrolliert werden, dass es unter Normalbedingungen nicht zu Problemen kommt. Hierzu ist allerdings ein entsprechendes Wissen notwendig, das früher oftmals durch die Tradition überliefert, heute dagegen zumeist wieder aktiv erlernt werden muss.

5. Mit Hilfe der Methoden der modernen Lebensmittel- und Biotechnologie lassen sich darüber hinaus verschiedene unerwünschte Stoffe abbauen oder eliminieren und die Verarbeitung kann, so gelenkt werden, dass die Bildung neuer problematischer Verbindungen weitgehend unterbleibt.

6. Zuletzt aber bleiben in der Tat auch Substanzen, die unter toxikologi-schen Gesichtspunkten absolut nicht akzeptiert werden können und die von daher oftmals auch Eingang in rechtliche Verordnungen gefunden haben, in denen dann zumeist maximal tolerierbare Mengen festgelegt worden sind. Hierzu gehören beispielsweise die bereits angesproche-nen Mykotoxine, durch die ein Lebensmittel verdorben ist, da es durch ihr Vorkommen den Tatbestand der gesundheitlichen Unbedenklichkeit einbüßt. Die Forderungen des Korans sind hier durchaus mit denen der Lebensmittelhygiene deckungsgleich. Zu ergänzen bliebe in diesem Zusammenhang, dass spontan verschimmelte Lebensmittel generell als verdorben zu betrachten sind und daher die Vernichtung eines auch nur angeschimmelten Produktes nichts mit der im Koran verurteilten Ver-schwendung zutun hat [6. Sure Vers 142].

3 Berauschende Lebensmittel

Obwohl den Muslimen der Genuß von Alkohol verboten ist, gibt gerade dieses Thema immer wieder Anlaß zu Diskussionen, auf die an dieser Stelle jedoch nicht näher einge9angen werden soll [siehe OMRAN und BUCKENHÜSKES 1999].

Eine Bemerkung ist allerdings zur Verwendung des Wortes „khamr“ zu machen, das heute gleichbedeutend mit „Wein“, also dem alkoholischen Fer-mentationsprodukt aus Trauben ist. Zum Verständnis des Korans muss hierbei allerdings auf die hocharabische Bedeutung des Wortstammes nämlich "khammara" zurückgegriffen werden, was soviel bedeutet wie „den Kopf berauschen“ bzw. „den Verstand verlieren“. Hiermit wird auch verständlich, wieso im Koran immer von „khamr“ nie aber von „bira“ Bier, gespro-chen wird, obwohl dieses auch bereits lange bekannt war. Andererseits ist es aber auch die Wurzel dieses Wortes. Dass insbesondere aus der 5. Sure Verse 91 und 92 nicht nur das Verbot von Alkohol, sondern auch das aller berauschenden Lebensmittel und sonstigen berauschenden Stoffe abgelei-tet wird.

In diesem Zusammenhang sei kurz darauf hingewiesen, dass es unter den Gewürzen Pflanzen gibt, die in unterschiedlichen Mengen berauschende Inhaltsstoffe besitzen. Als Beispiel sei die Muskatnuss genannt, deren Genuß in größeren Mengen infolge des Vorkommens von Myristicin und Elimicin, zwei dem Mescal, ähnliche Substanzen, zu Rauschzuständen, zu Herzbeklemmungen aber auch zum Tode führen kann, während Myristicin aufgrund der sehr geringen vorkommenden Konzentrationen beispielsweise in Dill und Petersilie überhaupt keine Rolle spielt, könnte im Falle der Muskatnuss selbst vor dem Hintergrund der üblicherweise verzehrten Mengen durchaus die Frage gestellt werden, ob diese halal ist oder nicht.

Ein umfangreicherer Fragenkatalog ergibt sich aber im Zusammenhang mit dem Alkohol, wobei davon ausgegangen wird, dass hierunter aus-schließlich das Ethanol verstanden wird.

Die chemische Untersuchung unserer Lebensmittel hat gezeigt, dass Ethanol in geringen Mengen auch in Produkten vorkommen kann, in denen ihn der normale Konsument normalerweise nicht vermuten würde. Dies gilt vor allem für Fermentationsprodukte, an deren Herstellung heterofermentati-ve Milchsäurebakterien beteiligt sind, die aus den verwertbaren Zuckern ne-ben Milchsäure auch geringe Mengen an Ethanol und/oder Essigsäure bilden. Lebensmittel, bei denen dies der Fall sein kann, sind beispielsweise Sauerteigbrote, wobei der entstehende Alkohol aber während des Backpro-zesses im wesentlichen verdampft, verschiedene Milchprodukte oder auch „natürlicherweise“ vorhanden ist und cia die Pro-zesse, die zu seiner Bildung geführt haben, nicht mit dem Ziel durchgeführt wurden, diesen Alkohol zu bilden.

Einen Sonderfall stellt die Herstellung von Essig dar, bei welcher ein kohlenhydrathaltiger Rohstoff, z.B. Zuckerrohrmelasse, zunächst zu Alkohol fermentiert werden muss, der dann anschließend durch Essigsäurebakterien zu Essigsäure umgesetzt wird. Auch bei diesem Prozeß ist ein gewisser Restalkoholgehalt, der üblicherweise bis zu etwa 0,5 % betragen kann, nicht zu verhindern.

Verschiedene Fragen ergeben sich durch die Fortschritte in der Le-bensmitteltechnotogie sowie deren Anwendung in der Praxis:

1. Durch die heute verfügbaren Verfahren zur Entalkoholisierung von Flüssigkeiten können z.B. entalkoholisierte Biere oder Weine hergestellt werden, die allerdings wiederum einen technisch bedingten Restgehalt von Alkohol enthalten.

2. Umgekehrt könnte man auch alkoholisch fermentierte Rohstoffe mit dem Ziel entalkoholisieren, das ebenfalls durch die Gärung entstandene Aroma zu gewinnen und anderweitig weiterzu-verwenden.

3. In der Aromenindustrie ist es zugelassen, Alkohol als Lösungsmittel für Aromen zu verwenden, Alkohol, der sich selbstverständlich im Endpro-dukt wiederfinden wird.

Es ist keine Frage. dass in allen hier aufgeführten Fällen der Alkohol von untergeordneter Bedeutung ist und die Produkte selbst beim Genuß großer Mengen keine berauschende Wirkung erzeugen können. Ob die be-troffenen Produkte dadurch allerdings als halal angesehen werden können, bedarf der Beurteilung theologischer Autoritäten.

4 Gelatine von Schweinen?

Auch im Zusammenhang mit Lebensmitteln tierischer Herkunft gäbe es eine Vielzahl von Fragen zu stellen, beispielsweise bezüglich des Schlachtens bzw. Schächtens, der Verwendung von Blut als Tierfutter, der Gewinnung von Enzymen aus Blut oder etwa der endgültigen Entscheidung, ob Pferde, Maultiere und Esel nun verzehrt werden dürfen oder nicht. An dieser Stelle soll aus Zeitgründen jedoch lediglich auf das Thema Gelatine aus Schwei-nerohstoffen eingegangen werden.

Vom Prinzip her hat das eindeutige Verbot von Schweinefleisch [5. Sure Vers 41 zur Folge, dass auch alle Bei- und Nebenprodukte, die vom Schwein stammen, haram, d.h. verboten sind, hierzu zählen insbesondere Speck und Schweineschmalz.

Einen Sonderfall scheint aber die Gelatine aus kollagenhaltigen Kno-chen-, Knorpel- und Hautteilen des Schweines darzustellen, die bis vor kur-zem ebenfalls noch als eindeutig haram eingestuft wurde. Laut einer mündli-chen Information der islamischen Gemeinde München soll seit Anfang 1998 eine Neubewertung dieses Themas durch die Al Azhar Universität in Kairo vorliegen. Diesem Gutachten zufolge sei die Gelatine als eine durch die Hy-drolyse so stark veränderte Lebensmittelzutat anzusehen, dass kein Zusammenhang mehr mit der ursprünglichen Herkunft, das heißt dem Schwein, zu erkennen sei. Es ist keine Frage, dass diese Sichtweise vieler-orts kritisiert und von vielen Muslimen nicht akzeptiert wird; gerade wegen dieser Widersprüchlichkeit gehört das Thema aber diskutiert und einer end-gültigen Entscheidung zugeführt.
 

5 Moderne Biotechnologie

Allgemein wird unter Biotechnologie die gezielte technische Anwendung biologischer Prozesse zur Erreichung eines gewünschten Zieles verstanden, wobei als Grundlage dieser Prozesse Mikroorganismen, gebundene oder isolierte Enzyme, pflanzliche und tierische Zellen sowie Gewebekulturen dienen können. In diesem Sinne ist die Biotechnologie nichts Neues, viel-mehr hat sie ihren Ursprung in verschiedenen Lebensmittelfermentationen genommen und kann im Zusammenhang mit der Herstellung von Bier und verschiedenen milchsauer fermentierten Produkten bis 3.000 v.Chr. zurückverfolgt werden. Dass sich auf der Grundlage des heutigen Wissens auch aus dieser traditionellen Biotechnologie Fragen bezüglich des halal-Cha-rakters von Lebensmitteln ergeben können, wurde bereits im Zusammen-hang mit dem Alkohol gezeigt. An dieser Stelle soll jedoch auf die sogenann-te moderne Biotechnologie Bezug genommen werden, die sich allgemein durch ihre molekularbiologische Betrachtungs- und Vorgehensweise aus-zeichnet. Ein spezielles Gebiet dieser modernen Biotechnologie ist die Gentechnik, die derzeit im Zusammenhang mit Lebensmitteln in vielen Län-dern noch nicht von den Verbrauchern akzeptiert wird, deren Durchsetzung aber auf Dauer nicht aufzuhalten sein wird.

Wenngleich sich zumindest in den westlichen Industrieländern die grundsätzliche Einsicht durchgesetzt hat, dass neue Techniken und Techno-logien und damit auch die moderne Biotechnologie einer philosophisch-ethischen Begleitung und Durchdringung bedürfen, müssen wir doch auch feststellen, dass hierdurch selbst im Idealfalle nicht alle relevanten Ge-sichtspunkte berücksichtigt werden können. In diesem Sinne ist zu fragen, welche Stellung der Islam bezüglich der Anwendung der Gentechnik im All-gemeinen und im Bereich der Lebensmitteltechnologie im Besonderen ein-nimmt. Auf den Punkt gebracht, geht es aus theologischer Sicht um die Fra-ge, ob der Mensch berechtigt ist, mit Hilfe der Gentechnik in die Schöpfung Gottes einzugreifen oder nicht.

Sieht man von der Tatsache ab, dass alles unser Tun, ja selbst unser Atmen infolge einer Erhöhung der Entropie im thermodynamischen Sinne einen Eingriff In die Schöpfung bedeutet, so darf nicht vergessen werden, dass der Mensch bereits durch die Domestizierung von Pflanzen und Tieren sowie die sich daran anschließende Züchtung massiv in die Natur und damit die Schöpfung eingegriffen hat. Entlastend dürfen wir aber wahrscheinlich anführen, dass wir auch unseren Verstand und damit die Möglichkeit des Erkennens der Zusammenhänge in der Natur gemäß dem Willen unseres Schöpfers und durch ihn bekommen haben. Genauso ist festzustellen, dass die für die Gentechnik notwendigen “Werkzeuge“ ja ebenfalls von Gott zur Verfügung gestellt wurden und auch durch die Natur selber seit der Entste-hung des Lebens als eine der Triebfedern der Evolution benutzt wurden und werden. In diesem Sinne kann wahrscheinlich davon ausgegangen werden, dass seitens der islamischen Theologie keine grundsätzlichen Einwände gegen die Gentechnik erhoben werden. Im Speziellen wird es dagegen wahrscheinlich einzuhaltende Rahmenbedingungen geben, die sich alleine schon daraus ableiten lassen, dass Gott den Menschen zum Statthalter auf Erden, zum Kalifen bestimmt hat [2. Sure Vers 31] und es nicht im Sinne des Besitzers, nämlich Gott [2. Sure Vers 285] sein kann, wenn diese seine Schöpfung zerstört würde.

In unserem speziellen Zusammenhang ergibt sich ein Diskussionsbe-darf bezüglich der Frage, ob mit Hilfe der modernen Biotechnologie Gene vom Schwein oder von anderen als unrein erachteten Tieren in Pflanzen oder Tiere eingebracht werden dürfen, die der menschlichen Ernährung die-nen sollen. Ein Beispiel, das bereits Realität ist, ist das Einbringen von Wachstumsgenen aus der Ratte in Lachse, um deren Wachstum zu be-schleunigen und die Zucht damit ökonomischer zu gestatten. Bei der Beur-teilung dieser Frage muss beachtet werden, dass in dem eigentlichen Le-bensmittel nichts substantielles von dem unreinen Lebewesen enthalten ist, sondern nur eine seiner Eigenschaften. Das Gen wird zwar einmal real übertragen, anschließend wird es aber genau wie alle anderen Verer-bungseigenschaften weitergegeben und bei jeder Zellteilung neu syntheti-siert. Das entscheidende Neue an dieser Fragestellung ist also, dass es hierbei um einen ideellen und nicht um einen materiellen Hintergrund geht.

Auf einer ganz anderen Ebene steht aber auch noch die Frage im Raume, wie sich die Menschen in den islamischen Landen verhalten sollen, wenn anderenortes die modernen Techniken ohne Rücksicht auf die islami-schen Vorstellungen und Forderungen eingesetzt werden. Der einzelne Muslim, der normalerweise nicht über diese Zusammenhänge Bescheid weiß, darf in diesem Falle auf die Handlungsweise Gottes als der des Barmherzigen Erbarmers (ar-Rahman - ar-Rahim) vertrauen: “Wer aber (aus Not) gezwungen, unfreiwillig, ohne böse Absicht und nicht übermäßig davon ge-nießt, der hat keine Sünde damit (begangen); denn Allah verzeiht und ist barmherzig“ [2. Sure Vers 174]. Die Zuständigen in Politik und Wirtschaft, die auch für eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmit-teln verantwortlich sind, werden hierdurch allerdings vor enorme Entschei-dungsprobleme gestellt, da ihnen die entsprechenden Informationen im All-gemeinen zugänglich sein dürften. Der Import von tiefgefrorenem, preis-günstigem Fleisch aus nicht islamischen Ländern in islamische Länder dürfte hiervon bereits seit langem ein beredtes Zeugnis geben.
 

6 Abschließende Bemerkungen

Abschließend soll darauf hingewiesen werden, dass es nicht nur die Musli-me sind, die an einer Hilfestellung im Zusammenhang mit den nur beispiel-haft angeführten Fragen Interesse haben. Auch die Hersteller von Lebensmitteln, die sich bei der Auswahl der Rohstoffe und der Produktion ihrer Erzeugnisse durchaus an den Traditionen und Vorschriften des Islam orientie-ren wollen, suchen nach verbindlichen Aussagen darüber, ob ein Verfahren, ein Roh- oder Zusatzstoff sowie letztlich das endgültige Lebensmittel halal ist oder nicht. Was die Praxis in der Lebensmittelindustrie zeigt, bereitet in Deutschland derzeit noch alleine die Frage Probleme, ob ein halal-Zeugnis überhaupt ausgestellt werden kann und darf oder nicht und wer oder welche Stelle denn eigentlich dazu berechtigt ist, dieses gegebenenfalls auszustel-len. Auch hier wäre also eine Hilfestellung hoch willkommen.
 

7 Literatur

[01] Omran, H.T.;H.J. Buckenhüskes (1999): Besondere Voraussetzungen und Anforderungen an die Herstellung von Lebensmitteln für Muslime. WCRP Informationen (Hrsg. Sekretariat der Weltkonferenz der Religio-nen für den Frieden, Stuttgart) 53, 13-23.
[02] Chaudry. M.M. (1992): Islamic Food Laws: Philosophical Basis and Practical Implications. Food Technology 46(10), 92-93 and 104.
[03] N.N. (1993): Der Koran; Die Heilige Schrift des Islam. Wilhelm Gold-mann Verlag München (1959); Sonderausgabe Orbis Verlag für Publi-zistik, München.
[04] Saleh‘ A. (1972): Der Einfluß religiöser Vorschriften auf die Warenpalet-te, unter besonderer Berücksichtigung des Islam sowie des Hinduismus und Buddhismus. Inaugural-Dissertation Universität Köln.
[05] Twaigery, S. and D. Spillmann (1989): An Introduetion to Moslem Die-tary Laws. Food Technology 43(2), 88-90.