Vortrag für den Toleranztag 99 in Salzburg
Dr. Yukio Matsudo,
Lehrbeauftragter im Institut für Ethnologie an der Universität Heidelberg und
Forschungsleiter des IOPEC
 
Zum Thema "Interreligiöser Dialog als Basis der Toleranz" aus buddhistischer Sicht

Im Zusammenhang mit dem heutigen Thema "Interreligiöser Dialog als Basis der Toleranz" möchte ich zwei Punkte aus allgemein-buddhistischer Sicht ansprechen.
Der erste Punkt betrifft die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen aktivem und passivem Verständnis der Toleranz. Passive Toleranz bedeutet zunächst, die Andersglaubenden zu akzeptieren, wie sie sind, und ihre Existenz zu dulden. Diese passive Toleranz ist wahrscheinlich die mindeste Voraussetzung für einen interreligiösen Dialog, der nach gegenseitigem Verständnis oder zumindest nach der Möglichkeit einer gegenseitiger Verständigung strebt. Umgekehrt heißt es, daß man bereits diese passive Toleranz ausübt, wenn man mit Andersglaubenden in einen Dialog tritt. Dennoch könnte man immer noch den anderen gegenüber gleichgültig bleiben und sogar gegebenenfalls in eine Haltung der Apathie zurückfallen.
Im Gegensatz zur passiven Toleranz ist aktive Toleranz nicht trennbar vom Mut zum Widerstand und zur bestimmten Auflehnung gegen alle Formen von Gewalt und Ungerechtigkeit, welche die menschliche Würde bedrohen.
Dieser Ansatz führt im wesentlichen zur Veränderung des Charakters eines interreligiösen Dialoges. Dialog mit Andersglaubenden zielt nämlich nicht nur darauf ab, einander besser verstehen und schätzen zu lernen, sondern die Dialogpartner bemühen sich, einen gemeinsamen, religionsübergreifenden Konsens für die Wurde des menschlichen Lebens zu schaffen. Dialoge sind so dann für die gegenseitige Ermutigung dafür, daß die Religionen die Menschen dazu ermutigen, ein wirklich toleranter Mensch, und das heißt ein mutiger Mensch zu sein, der gegen die negativen und destruktiven Kräfte in der Welt aktiv vorgeht.

Der zweiter Punkt betrifft somit die Frage, was die Religionen heute in den Vordergrund stellen sollte. Kraß ausgedruckt, soll das Bekenntnis oder die Institution oder die religiöse Autorität, die all diesem zugrunde liegt, auf alle Kosten beschützt und verteidigt werden oder sollen die Menschen in den Vordergrund gestellt werden. Das heißt, die Menschen dürfen nicht in irgendeiner Weise instrumentalisiert werden, und kein Krieg darf im Namen der Religion durchgeführt werden. Die Buddhisten haben in dieser Hinsicht leichter als die Monotheisten, die sich einer absoluten, transzendenten religiösen Autorität wie Jahwe, Gott und Allah unterstellen. Buddhisten kennen solche übermenschliche Autorität nicht und sind nur noch um die Befreiung der Menschen von ihren Leiden besorgt, und zwar durch das Vertrauen an eigener Möglichkeit, die dafür nötige Kraft und Weisheit zu entfalten.

In diesem Sinne soll heute in der multi-religiösen Gesellschaft eine "Wende zur religiösen Toleranz" vollzogen werden, indem ein exklusivistischer oder inklusivistischer Heilsanspruch von jeder Glaubensrichtung verzichtet wird, um die Glaubensfreiheit der anderen voll zu respektieren. Zum anderen sollen nicht etwa die dogmatischen Unterschiede der Religionen, sondern die Gleichheit und Wurde aller Menschen in den Vordergrund gestellt werden. Das Verständnis der Religion für Menschen und nicht umgekehrt, daraus ergibt sich die praktische Konsequenz, sich aus mitfühlender Liebe für alle Menschen für ihr Glück und Wohl - zusammen mit allen anderen - gemeinsam aktiv einzusetzen.

Damit wollte ich darauf hinweisen, daß das Verständnis der aktiven Toleranz, die ihrerseits auf der Liebe und dem Mitgefühl für die Menschen beruht, die Basis für eine aktive Form des interreligiösen Dialoges bildet.