ORF 2, "KREUZ und QUER" vom Dienstag, 13.6.2000 von Hugo PAWLOWSKY

Interview mit dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft Prof. Anas SCHAKFEH





... Das ist ja vom Besonderen im Islam, daß dieses heilige Buch wirklich auf den Profeten zurückgeht und in seiner Lebenszeit entstanden ist, von Jesus oder Buddha hat man ja keine authentischen Texte. Ist es deshalb, ist dies der Grund, warum man so streng mit dem Buch umgeht? Sehr stark an der wörtlichen Überlieferung festhält und auch immer wieder den arabischen Text weitergibt, also den Originaltext?

Das ist auch mit ein Grund, aber nicht der Hauptgrund. Mit ein Grund deswegen, wie Sie richtig gesagt haben; der Qur’an ist authentisch, dies ist ausser Zweifel. Der Hauptgrund ist, daß wir Muslime glauben, daß das Buch nicht das Buch Muhammads (as) ist, sondern die direkte, unmittelbare Offenbarung und Muhammad (as) war der Empfänger der Offenbarung und somit war er nur die Stimme, die das Buch vorgetragen hat.

Deswegen glaube ich, wollen die Muslime nicht gern "Mohammedaner" genannt werden, wie es ja immer noch verbreitet ist, weil sie nicht dem Profeten, sondern Gott anhängen. Ist das richtig?

Sehr richtig, denn diese Bezeichnung bezieht sich wie Sie richtig gesagt haben auf Muhammad (as) als Person und Muhammad (as) war einer der vielen Profeten, der letzte – nicht der einzige Profet des Islams. Der Islam als Religion ist eine Haltung des Menschen Gott gegenüber, und das kann ein jeder Mensch, also jeder Mensch kann diese Haltung annehmen und vertreten und das ist nichts anderes als die Hingabe an Gott. Die friedliche Hingabe an Gott.

Es ist wohl eine europäische Manier, sich einmal vorstellen zu wollen, "wie war der Mann" mit dem es angefangen hat? Wir haben dieses Lebensbild Mohameds gezeigt. Es ist von nichtmuslimischen Redakteuren gemacht. Können Sie sich damit identifizieren, stimmt das Bild damit überein, das Sie vom Profet Mohamed haben?

Im Großen und Ganzen ja, aber es sind ein paar Kleinigkeiten, die als Stereotypen, sich routinemäßig immer wiederholen ...

Können Sie da was ...

... z.B. man sagt immer wieder, die Mekkaner waren Nomaden und somit war Muhammad (as) auch ein Hirte, ein Nomade unter Nomaden. Das stimmt nicht und auch im Film sagt man, Mekka war ein Handelszentrum und religiöses Zentrum. Mekka war eine Art "Handelsrepublik" und die Mekkaner waren weltbewandte Menschen, die weit gereist sind, z.B. nach Jemen und nach Syrien, wir wissen nach Äthiopien, wir wissen aus der Literatur, dass die Mekkaner starke Beziehungen, kommerzielle aber auch kulturelle nach Persien gehabt haben. Mekka war also wirklich eine Handelsrepublik und die Mekkaner sozusagen "Weltbürger" und Muhammad (as) ist einer von ihnen.

Ich verstehe. Klischees, ich hab’s ja am Anfang erwähnt, setzen sich natürlich durch und halten sich für lange. Wie gehen Sie im Islam damit um, dass Sie heute natürlich, in der heutigen Zivilisation vor Problemen stehen, die Mohamed noch nicht hatte und die im Koran auch nicht vorkommen. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie sich so streng an den Wortlaut des Koran halten?

Dies ist wiederum so ein nicht ganz korrektes Bild vom Islam, daß die Muslime wirklich – sagen wir - Buchstabenreiter sind. Das ist nicht so. Der Qur’an wird wörtlich akzeptiert und genommen als Wort Gottes – nur das Wort Gottes muß interpretiert werden und die Muslime haben immer das Wort interpretiert. Wir haben auch Schulen der Interpretation, verschiedene Schulen, das heißt der Islam war immer pluralistisch – und es sind die Grundwahrheiten, die Grundlinien die unveränderbar sind. Aber – der Islam zeichnete sich ja aus in der Anpassung, hat sich immer angepaßt an die Situation, historisch aber auch örtlich, geographisch. Und ohne diese Anpassung wäre der Islam nur eine kleine Sekte in Arabien geblieben.

Sehen Sie, das führt mich zur nächsten Frage. Der Islam ist heute in Europa zwar schon sehr groß, aber doch noch eine Minderheit. Ich frage mich, wie kann der Islam, der immer darauf wert gelegt hat die Religion mit dem Leben und daher auch mit der Politik zu verbinden, in einer ganz anderen politischen Tradition, wie es die europäische ist, überleben? Kann der Islam diese traditionelle Verbindung von Politik und Religion lösen.

Das haben wir bereits getan, als europäischen Muslime. Für uns muß der Islam zwar gesellschaftspolitisch tätig und aktiv sein, aber nicht staatspolitisch; d.h. im Sinne von Staatsgründung. Wir erkennen unsere Situation als eine Minderheit in der Diaspora und als solche finden wir eben rechtlich eine Ordnung vor uns, die wir akzeptieren und wir ordnen uns ein in diese Ordnung, die herrschende Ordnung – und diese Ordnung ist auch positiv für uns. Da können wir unsere Religion frei ausüben – und da habe ich keinerlei Interesse an einer Staatsgründung.

Ich verstehe. Das Christentum kämpft ja auch mit dem Problem, wie sie sich als eine Weltreligion in die verschiedenen Kulturen inkulturieren kann, und immer ist die Frage, wir die Religion dadurch nicht in ihrem Kern verfälscht. Beim Christentum geht es darum, das abendländische Gewand abzulegen. Steht der Islam vor einer ähnlichen Frage?

Sicherlich. Wenn die Grundwahrheiten der Religion hier verändert werden. Aber niemand spricht davon. Sondern ich habe gesagt, die Grundprinzipien, die Grundwahrheiten dürfen nicht angetastet werden. Das wahrt die Authentizität der Religion. Aber wie man die Religion lebt, wie man die Religion ausübt, wie man sich an die jeweilige Situation anpaßt, das liegt in unserer Hand – und das tun wir und taten die Muslime immer und das ist eben das "Geheimnis des Erfolgs".

Kann man ein paar Eckwerte nennen, wie ein Islam im heutigen Europa, in diesem Europa nach der Aufklärung, in dem demokratischen Europa aussehen wird, oder bereits aussieht?

Der Islam sieht so aus: als eine Religion unter anderen Religionen. Wir akzeptieren die demokratische Staatsordnung, welche in den europäischen Staaten jetzt ganz normal ist und wir leben damit auch sehr gut. Das heißt wir wollen aktiv sein in einer Gesellschaft, die frei, pluralistisch und demokratisch ist. Der Islam in seinem Urkern war auch sehr demokratisch. Er war eine Befreiung des Menschen von Herrschaftssystemen. Der Islam sprach den Menschen mündig, und diese Mündigkeit bedeutet, daß der Mensch jetzt für sich wählen und entscheiden darf; und auf dieser seiner Entscheidung beruht auch seine Verantwortung vor Gott und den Menschen.

Das heißt, da ist natürlich im Laufe der Geschichte, wie es ja auch im Christentum der Fall war, einiges verloren gegangen an dieser Mündigkeit an dieser Selbstständigkeit, an dieser ursprünglichen demokratischen Verfassung.

Das ist richtig und daraus ergibt sich die ewige Frage: Was ist authentisch, was sind Zutaten, was kam von Menschenhand?!

Ja, wenn Sie den Pluralismus akzeptieren, sind Sie dann auch dafür, daß die Religionen miteinander in Kontakt treten. Also das Christentum mit dem Islam, dem Judentum usw. eine Sache, die in manchen Gegenden der Welt aus politischen Gründen äußerst schwierig ist – aber sprechen wir einmal von unseren Gebieten, halten Sie eine Art Ökumene der Religionen, ohne Vermischung für nützlich?

Das ist vielmehr eine Überlebensfrage der Religionen. Wenn die Religionen überleben wollen, dann müssen sie miteinander reden, miteinander ins Gespräch treten und auch zusammenarbeiten. Es gibt viele Gebiete, wo die Religionen auch zusammenarbeiten können. Nur dadurch können sie alle überleben und keine Religion darf die andere bevormunden aber auch, wie Sie richtig gesagt haben, wir dürfen keine einheitliche Religion anstreben. Das wäre auch falsch. Die Grundwahrheiten bleiben bei jeder Religion, dies sind eben die Glaubenswahrheiten aber wir haben viele Felder wo wir gemeinsam auftreten und auch zusammen arbeiten können.

Und zwar in einer Situation, in welcher es den Religionen immer schlechter geht, in der die, sagen wir die Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Fragen zunimmt. Zumindest gegenüber jenen religiösen Fragen, wie sie in den verfassten Religionen da sind, weil ein allgemeines religiöses Interesse ist durchaus gegeben.

Richtig, der Mensch, die meisten Menschen, wir können nicht verallgemeinern, sind sehr empfänglich für die Religion, nur sie müssen die Botschaft so bekommen, wie sie eben die Botschaft akzeptieren können. Und deswegen müssen die Religionen sich immer wieder fragen: "wie drücken wir uns aus, wie vermitteln wir unsere Botschaft?" diese Botschaft soll im Dienste des Menschen sein, dann ist sie gut.

Vielen Dank Herr Präsident für dieses Gespräch.

Danke auch.