"Tyrannenmord" an Osama bin Laden?

Was sagt die Kirche? Die Ausschaltung des Terror-Chefs wäre gerechtfertigte
Notwehr.

GASTKOMMENTAR VON JOSEF SPINDELBÖCK
 
 
 

Der Autor ist als Priester und Moraltheologe in der Diözese St. Pölten
tätig. Die jüngsten Stellungnahmen zweier Bischöfe (Kardinal Meisner von Köln und
Kurt Krenn aus St. Pölten) haben aufhorchen lassen, als diese die mögliche
Legitimität des "Tyrannenmordes" in Zusammenhang mit einer Ausschaltung des
mutmaßlichen Terror-Chefs Bin Laden zur Sprache brachten.
 

Vorweg: Obwohl die Diskussion unter dem Stichwort "Tyrannenmord" geführt
wird, kann es niemals darum gehen, einen Mord ethisch zu rechtfertigen. Der
Begriff "Mord" wird ja aufgefaßt als die unrechtmäßige Tötung eines Menschen.
Auszublenden ist auch jener "christliche Pazifismus", der mit Berufung auf die
Bergpredigt jede Form von Gewaltanwendung und Tötung kategorisch ablehnt.
Demnach wäre selbst die Notwehr im Fall eines ungerechten Angriffs
ausgeschlossen.
 

Als "Tyrann" im klassischen Sinn gilt der an sich rechtmäßige Inhaber einer
politischen Machtstellung, wenn er diese in derart schwerwiegender Weise
mißbraucht, daß er nicht mehr im Namen des Gemeinwohls handelt. Im weiteren Sinn
werden auch "Usurpatoren" dazu gezählt, die eine politische Machtstellung auf
unrechtmäßige Weise erobert haben.
 

Weit davon entfernt, den Umsturz oder gar die Revolution als legitime Mittel
politischer Änderung anzusehen, kennt die katholische Soziallehre doch den
Fall, daß eine länger andauernde Gewaltherrschaft grundlegende Rechte der
Menschen verletzt, den auf Gerechtigkeit gründenden Frieden und die damit
verbundene innere und äußere Sicherheit gefährdet und eine Änderung mit friedlichen
Mitteln unmöglich erscheint. Dann - und nur dann - kann es, wie der
"Katechismus der Katholischen Kirche" in Nr. 2243 betont, gerechtfertigt sein, sogar
einen "bewaffneten Widerstand gegen Unterdrückung durch die staatliche Gewalt"
anzuwenden. Dies gilt allerdings nur, wenn gleichzeitig folgende Bedingungen
erfüllt sind: 1. Es müssen nach sicherem Wissen Grundrechte in
schwerwiegender Form und auf dauernde Weise verletzt werden. 2. Alle anderen Hilfsmittel
müssen erschöpft sein. 3. Durch diese Form des Widerstandes darf nicht
schlimmere Unordnung als bisher entstehen. 4. Es muß begründete Aussicht auf Erfolg
bestehen, und 5. dürfen vernünftigerweise keine besseren Lösungen abzusehen
sein.
 

Wendet man diese Kriterien auf die Situation des Stauffenberg-Attentats auf
Adolf Hitler am 20. Juli 1944 an, so kann man der Auffassung sein, daß die
Ausschaltung des Diktators berechtigt gewesen wäre.
 

Die aktuelle Frage lautet: Trifft dies auf Bin Laden zu? Dieser ist weder
als Staatsmann noch als Tyrann im klassischen Sinn anzusehen. Als Terror-Chef
von höchstem Rang gilt er allerdings, wenn seine Schuld eindeutig erwiesen
ist, als besonders gefährlicher Verbrecher, der nach den Grundsätzen der
Rechtsstaatlichkeit abzuurteilen ist: wenn möglich unter Einbeziehung
internationaler Instanzen und - sofern Gefahr im Verzug ist - auch in einem abgekürzten
Verfahren.
 

Würde die Todesstrafe angewandt, so kann die Kirche dies nicht befürworten.
Sie wäre aber als Akt der Notwehr gemäß der überlieferten Lehre der Kirche
dann nicht auszuschließen, "wenn dies der einzig gangbare Weg wäre, um das
Leben von Menschen gegen einen ungerechten Angreifer zu verteidigen" (KKK 2267).
Terrorismus ist jedenfalls immer als "schwerer Verstoß gegen die
Gerechtigkeit und die Liebe" anzusehen und darum abzulehnen (KKK 2297). Die wirksame
Verteidigung der Gesellschaft und ihrer Werte muß dieser Gefahr entschieden,
nötigenfalls auch mit Gewalt begegnen.
 
 

22.11.2001 Quelle: Print-Presse


 

 

Absender: "Pressestelle der Kirchenprovinz Sachsen" <presse@ekkps.de>

Anliegend finden Sie einen offenen Brief des Magdeburger
Evangelischen Bischofs, Axel Noack, an die Abgeordneten des
Deutschen Bundestages zur Abstimmung über die Bereitstellung
von Bundeswehreinheiten für Militäreinsätze in Afghanistan.

Mit freundlichem Gruß

Jetzt ist noch Zeit zu einem klaren "Nein!"

Ich rufe die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, dem Anliegen der
Bundesregierung, deutsche Soldaten in Afghanistan einzusetzen, nicht zu
folgen und ihre Zustimmung dazu zu verweigern.

v Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages stehen vor einer schweren
Entscheidung, sie müssen sie in freier Verantwortung vor ihrem Gewissen
treffen dürfen. Über den Beginn des Krieges in Afghanistan konnten deutsche
Abgeordnete nicht entscheidend mitbestimmen. Beim Einsatz deutscher
Soldaten lastet auf ihnen die volle Verantwortung, die sie sich von
niemanden abnehmen lassen können und abnehmen lassen dürfen.

v Auch gegenteilige Behauptung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es
um eine nach gründlichem Abwägen aller Aspekte von jedem einzelnen
Abegordneten und jeder Abgeordneten persönlich zu verantwortenen
Entscheidung geht. Es ist Ihnen nicht erlaubt, die zur Entscheidung
anstehende Frage nur unter parteitaktischen Gesichtspunkten bzw. nach den
Auswirkungen auf eine Regierungskoalition zu betrachten. Es ist ein Irrtum
zu meinen: Indem ich mich von einem zum anderen schlechten Kompromiß
hangele, irgendwie politisch gestalten zu können.

v Als eines der hauptsächlichen Kriterien für die Beurteilung des Einsatzes
militärischer Gewalt gilt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel
und dannach, ob die angewendeten Mittel geeignet sind, das angestrebte Ziel
auch zu erreichen. Nach vier Wochen Bombardement ist nicht erkennbar, dass
wir dem Ziel der Bekämpfung des Terrorismus näher gekommen wären.

v Angetreten, Terrorismus zu bekämpfen und Verbrecher dingfest zu machen,
hat der Bombenkrieg in Afghanistan schon bisher eine nicht näher bekannte
Zahl unschuldiger Opfer gefordert. Fehlschläge sind auch von der
amerikanischen Regierung zugegeben worden. In der islamischen Welt wird mit
jeder Bombe die antiwestliche Stimmung gestärkt und der islamische
Fundamentalismus letzlich unterstützt.

v Als vor Wochen der Bundeskanzler die Solidarität und Bündnistreue
Deutschlands erklärte, hat er die Zusage gegeben, dass sich die Bundeswehr
nicht auf ein Abenteuer einlassen würde. Ich halte, was bisher noch
beschönigend als "Bereitstellung" von deutschen Soldaten für den Krieg in
Afghanistan bezeichnet wird, als den Beginn eines militärischen Abenteuers,
dessen Ende nicht absehbar ist.

v Der Abwurf von Lebensmittelpaketen hat sich als Demonstration
lächerlicher Hilflosigkeit herausgestellt. Die Not der afghanischen
Flüchtlinge ist unbeschreiblich und wächst zusehends.
Aufrufe, die Bombardierung wenigstens zur ansatzweisen Behebung des
Flüchtlingselends zu unterbrechen, finden mittlerweile breite Unterstützung.

v Angetreten, die freiheitliche, demokratische Ordnung gegenüber
terroristischen Anschlägen zu verteidigen, haben wir in den letzten Wochen
eine Kampagne undemokratischer Informationsverknappung erlebt. Unter dem
Argument der militärisch gebotenen Geheimhaltung wurden wir einer
Beschwichtigungswelle ausgesetzt, die mich an DDR-Zeiten erinnert. Das
Fehlen bzw. die bewußte Vermeidung offener und öffentlicher Information
darf nicht als Argument gegen eine klare Entscheidung herhalten: Weil ich
nicht genau über die wirklichen Folgen der Bombardierung informiert bin,
soll ich mich nicht gegen sie äußern dürfen ?

v In unserer Demokratie, die Meinungsvielfalt nicht nur zulassen muss,
sondern zur Wahrheits- und Entscheidungsfindung dringend braucht, wurde die
Zustimmung zur Position der Bundesregierung zur Bekenntnisfrage hoch
stilisiert. Abweichende Meinungen wurden mangelnder Solidarität mit den
Opfern in Amerika verdächtigt.

v Falsche Entscheidungen werden nicht dadurch richtig, daß ich sie mit
schlechtem Gewissen und unter "großen Bedenken" getroffen habe. Es gibt
Situationen, in denen es nur um "Ja" oder "Nein" geht. Einschränkende
Zusätze und die Betonung der "Bauchschmerzen" dienen allein dem eignen
Seelenfrieden.
Wenn die Abgeordneten auch nur die kleinsten Zweifel an der Sinnhaftigkeit
des ganzen Unternehmens haben - und diese Zweifel äußern sie alle mehr oder
weniger offen! - dann sollen sie "Nein" sagen.

Ich weiss, daß ich mich mit meiner Position unterscheide von vielen
Gliedern unserer Kirche und von verschiedenen, in Synode und Rat der EKD
vertretenen Meinungen. Anderen, gegenteiligen  Entscheidungen versage ich
meinen Respekt nicht. Es gibt aber Situationen, in denen es nach Abwägen
aller Stimmen und Informationen zu einer eigenständigen, gewissensmäßig
gegründeten Entscheidung kommen darf und kommen muss. Es gibt eine Zeit, da
muss taktisches und politisches Abwägen zurücktreten vor einer klaren
Entscheidung ohne Wenn und Aber. Ich halte diesen Zeitpunkt für gekommen.

gez. Axel Noack
Bischof


 

Irak - der endgültige Feind?

Die drohende Ausweitung des US-amerikanischen Kreuzzuges gegen den Terror - eine Fortsetzung alter Interventionspolitik
Die Bush-Regierung hat von Anfang an deutlich gemacht, daß ihr »Kampf gegen den Terrorismus« sich nicht auf ihre Hauptverdächtigen, bin Laden und das Al-Qaida-Netzwerk, sowie Afghanistan beschränken wird. Am 9. Oktober überreichte der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Negroponte, dem UN-Sicherheitsrat ein Schreiben, in dem förmlich angekündigt wurde, daß sich die USA vorbehalten, nach Afghanistan weitere Länder anzugreifen. Am selben Tag äußerte er massive Drohungen gegen den Irak. Weitere Länder, die in diesem Zusammenhang genannt werden, sind Somalia und Sudan, wo bin Laden eine Zeitlang lebte, sowie der Jemen, da er in diesen Ländern über ein weites Geflecht von Firmen und Stützpunkten verfügen soll. Zudem werden er und Al Qaida von den USA auch für den Tod von 18 US-Soldaten 1993 in Somalia und den Angriff auf das US-Kriegsschiff »Cole« im Oktober 2000 in Aden verantwortlich gemacht. Möglich ist nach Ansicht von Experten, daß auch Organisationen wie die libanesische Hisbollah, die Islamische Bewegung Usbekistan (IMU), der Islamische Dschihad in Ägypten oder Abu Sayyaf auf den Philippinen zu den Kriegszielen Washingtons zählen werden und der indirekte Krieg der USA gegen die linken Guerillaorganisationen in Kolumbien ausgeweitet wird. 

 

Mit Deutschen gegen Somalia? 

In Somalia hatten US-Eliteeinheiten 1993 im Kampf gegen die von Farah Aideed geführte »Nationale Allianz« (SNA) eine herbe Niederlage einstecken müssen: 18 Rangers wurden getötet, die Bilder, wie ihre Leichen im Triumph durch die Straßen Mogadischus geschleift wurden, gingen um die Welt, und Präsident Clinton zog daraufhin die US-Truppen ab. Die USA machen dafür nun auch bin Laden verantwortlich, von dem sie behaupten, daß er zur Vertreibung der US-Truppen aus Somalia aufgerufen und Aideeds SNA maßgeblich unterstützt hätte. Zudem vermuten sie, daß die Vorbereitungen für die Anschläge 1998 auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam in Somalia stattgefunden hätten. 

Von allen ins Kalkül gezogenen Operationen scheinen die Vorbereitungen für Angriffe auf Somalia schon am weitesten gediehen zu sein. Laut Washington Post vom 4. November gäbe es schon Absprachen mit Äthiopien, das die Bodentruppen für die Angriffe stellen würde. Nach Ansicht der US-amerikanischen Regierung stelle diese Form der Zusammenarbeit mit lokalen Verbündeten ein Modell für andere »Antiterroraktionen« dar. 

Äthiopien ist einer der engsten Verbündeten der USA in der Region. Es sieht sich selbst von dem vorgeblichen somalischen Verbündeten bin Ladens, Al-Itihaad al-Islamiya (Islamische Union), bedroht und unterstützt aktiv die Sezession Somalilands, der nördlichen Küstenregion Somalias, die am Horn von Afrika direkt gegenüber von Jemen am Golf von Aden liegt. Äthiopien steht schon jetzt im offenen Konflikt mit der in Somalias Hauptstadt Mogadischu amtierenden Übergangsregierung, die von der UNO unterstützt und auch von islamistischen Gruppen mitgetragen wird. 

Maßnahmen gegen Somalia wurden von den USA bereits auf einem anderen Feld eingeleitet. Die Bush-Regierung hat am 7. November alle US-Filialen der somalischen Finanz- und Telekommunikationsfirma Barakaat mit der Begründung geschlossen, Barakaat habe für Al Qaida Geld transferiert und Telekommunikation bereitgestellt. Die Firma bestreitet eine solche Zusammenarbeit und hat bisher vergeblich angeboten, ihre Akten einer unabhängigen Prüfung unterziehen zu lassen. Barakaat wird nicht nur als größter Arbeitgeber in Somalia geschätzt. Für einen Großteil der neun Millionen Somalier ist Barakaat eine lebenswichtige Einrichtung, da sie nur über sie die Geldüberweisungen ihrer im Ausland lebenden Angehörigen erhalten können. Die Somalier werten die Sperrung der Filialen daher »als eine Attacke auf ihr Volk«, wie der somalische BBC-Korrespondent aus Mogadischu am 7. und 8. November meldete. 

Ähnlich wie bei ihrem Feldzug gegen Afghanistan erwarten die USA bei einem Vorgehen gegen Somalia verhältnismäßig geringe Proteste ihrer Verbündeten. Das Land hat international praktisch keine Stimme – eine günstige Gelegenheit für einen erneuten Versuch der USA, das rohstoffreiche Land unter militärische Kontrolle zu bekommen. Noch zu Zeiten Siad Barres hatten die Ölkonzerne Amoco, Chevron, Conoco und Phillipps Konzessionen für Gebiete erworben, die zwei Drittel des somalischen Bodens umfassen. Millionen Dollar wurden insbesondere in den 80er Jahren in Studien investiert, die ihnen günstige Ölperspektiven versprachen. Sie hatten 1992 auch nicht gezaudert und unmittelbar nach dem Einmarsch der US-geführten Truppen mit entsprechenden Bohrungen begonnen. Bis Januar 1993 waren unter dem Schutz des Militäreinsatzes 26 Ölquellen von US-amerikanischen Firmen angebohrt worden. 

Wichtiger noch dürfte aber die große geostrategische Bedeutung des Landes sein: Direkt gegenüber der arabischen Halbinsel gelegen und mit dem Horn von Afrika unmittelbar am wichtigsten Transportweg der Welt, der vom Indischen Ozean aus über den Golf von Aden und das Rote Meer durch den Suezkanal ins Mittelmeer führt. Da die Ölversorgung des Westens zu einem großen Teil von diesem Transportweg abhängig ist, waren die europäischen Mächte und die USA seit jeher bestrebt, die Anrainerstaaten dieser Wasserstraße, die Europa mit Asien verbindet, unter ihre Kontrolle zu bringen. 

Nach dem Wunsch der deutschen Regierung soll genau hier das Einsatzgebiet der deutschen Marineeinheiten liegen, die sich an den US-amerikanischen Kriegshandlungen im Rahmen der Operation »Enduring Freedom« beteiligen werden. Auch ein direkter Einsatz deutscher Truppen gegen Somalia ist nicht ausgeschlossen: Bundeskanzler Gerhard Schröder hat zwar die Einschränkung gemacht, daß Bundeswehreinsätze im Rahmen von »Enduring Freedom«, außerhalb Afghanistans nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierungen möglich sein sollen. Was aber ist mit einem Land wie Somalia, das gar keine international anerkannte Regierung hat? Entsprechende Andeutungen machte auch der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Christoph Zöpel (SPD), in der Donnerstagausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers. Er sei zuversichtlich, daß die SPD-Bundestagsfraktion einem »Antiterroreinsatz« in Somalia zustimmen würde, erklärte Zöpel im Interview. Deutsche Militäreinsätze gegen Terroristen seien von der Zustimmung der Regierung des betroffenen Landes abhängig – in Somalia exisitiere eine solche Regierung ja aber nicht, so Zöpel. 

Am 19. und 20. September traf sich das Defense Policy Board, eine renommierte Zweiparteienkommission nationaler Sicherheitsexperten, die das Pentagon berät. Die Mitglieder – unter ihnen Henry A. Kissinger, Ex-CIA-Chef James Woolsey, der frühere Vizepräsident Dan Quayle und der ehemalige Energie- und Verteidigungsminister James R. Schlesinger – stimmten nach Angaben der New York Times vom 12. Oktober überein, sich dem Irak zuzuwenden, sobald die »initiale Phase des Krieges gegen Afghanistan« zu Ende wäre. Sowohl Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als auch sein Stellvertreter Paul Wolfowitz nahmen an diesem Treffen teil. Es gehe darum, so Newt Gingrich, früherer Parlamentsvorsitzender und ebenfalls Mitglied der Kommission, den Moment zu nutzen, »um Saddam zu ersetzen, nachdem wir die Taliban ersetzt haben«. 
 

Iraks Nachbarn sind gegen Krieg 

Die arabischen Verbündeten, deren Unterstützung Außenminister Colin Powell für seine »Allianz gegen den Terrorismus« dringend benötigt, stehen der Antiterrorkampagne der USA skeptisch gegenüber. Ägyptens Präsident Hosni Mubarak verwies anläßlich seines Besuchs bei Bundeskanzler Gerhard Schröder Mitte September auf die Zuständigkeit der UNO und forderte im übrigen eine Lösung des Israel-Palästina-Problems. Auch die angebliche Gefahr, die das irakische Regime für seine Nachbarn darstelle, wird vor Ort nicht gesehen. Alle Nachbarstaaten Iraks, einschließlich Saudi-Arabiens und der Türkei, lehnen Militärschläge gegen den Irak strikt ab. Darauf werden die USA bei ihren Bemühungen für ein breites Bündnis vorerst Rücksicht nehmen müssen, und so hat selbst Präsident George W. Bush Jordaniens König Abdullah versprochen, keine Militärschläge gegen den Irak als Vergeltung für die Terroranschläge durchzuführen (The Guardian, 2.10.2001). 

Dem Irak ist es in den letzten Jahren gelungen, sich aus der politischen Isolation zu befreien und auch die Beziehungen zu Iran und Syrien zu verbessern. Daß sich selbst Länder wie die Türkei – nach Israel engster Partner der USA in der Region – gegen erneute Angriffe auf den Irak wenden, hat natürlich ganz handfeste Gründe: Zu groß sind die wirtschaftlichen Verluste, die sie durch Krieg und Embargo hinnehmen mußten. Die Türkei beziffert sie mit knapp 30 Milliarden US-Dollar. Wie dauerhaft eine solche Ablehnung bei ihr sein wird, bleibt angesichts der Kriegsdiplomatie der USA und ihrer Abhängigkeit allerdings abzuwarten. Die arabischen Verbündeten, wie Saudi-Arabien oder Ägypten, müssen auf die Stimmung im Lande Rücksicht nehmen – nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch innerhalb ihrer Armeen. 

Für den Irak ist schon das Kriegsarsenal bedrohlich, das die USA nach dem 11. September am Golf zusammenzogen haben. So wurde der Flugzeugträger »Theodore Roosevelt« in Richtung Mittelmeer in Marsch gesetzt, nachdem bereits zwei zusätzliche Flugzeugträger, begleitet von je 50 Kriegsschiffen, in die Golfregion verlegt worden waren. Zusätzliche Kampfflugzeuge der Typen F15 und F16 wurden an den Golf verlegt, deren Zahl sich dadurch annähernd verdoppelt hat. 

Letztlich stecken die USA in einem Dilemma. Sie müssen mit ansehen, wie sie in der Region politisch an Boden verlieren und der Irak sich Schritt für Schritt aus seiner Isolierung befreit und auch die militärische Kontrolle in Frage stellt. Für eine Anpassung der Sanktionspolitik benötigen sie die Zustimmung Rußlands, Chinas und Frankreichs. Die Versuchung für die US-amerikanische Führung, den Irak durch umfassende Militärschläge wieder in die Schranken zu weisen, ist daher groß. In der Tat berichteten US-amerikanische Medien schon vor dem September immer wieder über Pläne für eine Militäraktion vom Umfang der viertägigen Bombardierung im Dezember 1998. Mit solchen Kriegshandlungen könnten die USA aber den Rückhalt für ihre Politik in der Region gänzlich verlieren. 
 

Dauerhafte Konfrontation 

Viele sehen als Endziel eines US-geführten Militärschlages die Ersetzung des Baath-Regimes durch ein prowestliches. Neben dem Problem, wie ein solches Vorgehen völkerrechtlich legitimiert werden könnte, würden dabei für die USA eine Menge praktischer Probleme entstehen. So gibt es nach wie vor keine Kräfte im Hauptteil des Landes, auf die sich die USA stützen könnten, und nach wie vor ist auch keine glaubwürdige Alternative für eine neue Regierung in Sicht. Der oft genannte, weitgehend von den USA finanzierte »Irakische National-Kongreß«, ein Bündnis von Exilgruppen, verfügt im Land selbst über keine Basis. Allein im mehrheitlich kurdischen Nordirak können sich die USA tatsächlich auf Kräfte vor Ort stützen. 

Eine Besetzung des Iraks wäre daher, wenn überhaupt, nur mit großen eigenen Verlusten zu erreichen. International würde sie zudem auf erheblichen Widerstand und massive Proteste stoßen. Im Gegensatz zum Golfkrieg würden sich die meisten Staaten der Region in diesem Falle gegen einen Angriff stellen. Im Gespräch ist auch die Besetzung und faktische Abspaltung von Teilen des Iraks. Dies könnten dann – analog der »No Fly«-Zonen – im Norden die mehrheitlich kurdischen Provinzen und im Süden die Region um Basra sein, die schon während des Golfkrieges kurzfristig von US-Truppen besetzt waren. In diesen beiden Gebieten liegt auch der größte Teil des irakischen Öls. 

Um das Öl geht es schließlich bei der Politik, die Großbritannien und die USA am Golf verfolgen und nicht etwa um die »Demokratisierung des Iraks«. Die unversöhnliche Feindschaft der einstigen Kolonial- wie der aktuellen imperialistischen Supermacht gegen das Baath-Regime hatte bekanntlich mit der Nationalisierung der Ressourcen des Landes Anfang der 70er Jahre begonnen. Diese Feindschaft wurde nach dem Sturz des Schahs eine Zeitlang überlagert durch eine Politik, die im Iran unter Ajatollah Khomeini das größere Übel sah. Der Irak wurde in der Folge zum Krieg gegen den Iran ermuntert und erhielt, als sich nach Anfangserfolgen das Blatt gegen ihn zu wenden drohte, auch massive westliche militärische Unterstützung. Die gleichzeitigen Waffenlieferungen an den Iran zeigen allerdings, daß die USA am liebsten keinen Sieger und kein Ende des ersten Golfkriegs gesehen hätten. Es lag an der völligen Fehleinschätzung der Haltung der USA ihr gegenüber, die die Baath-Führung zum Überfall auf Kuwait ermunterte und den USA so die Gelegenheit gaben, den zur Regionalmacht aufgestiegenen Irak wieder gründlich abzurüsten – militärisch, aber vor allem auch industriell. 

Die USA und Großbritannien hatten nach Ende des zweiten Golfkrieges mehreres erreicht: Sie sind seither wieder mit erheblichen Streitkräften in der Region militärisch präsent. Der Irak ist als eigenständiger regionaler (politischer wie wirtschaftlicher) Faktor weitgehend ausgeschaltet, und über das Sanktionsregime haben sie auch wieder die Kontrolle über das irakische Öl. 20000 bis 25000 US-Soldaten sind ständig in der Region stationiert, und große Mengen an Waffen und Ausrüstung wurden im voraus in Stellung gebracht, die den USA eine schnelle Expansion ihrer Militärmacht vor Ort erlauben. 
 

Essentielle Ölinteressen 

Die massive US-Truppenpräsenz richtet sich dabei nicht nur gegen den Iran und den Irak, sondern dient zugleich der Stabilisierung der Ölmonarchien nach innen. Der Kontrolle dieser Länder – vor allem Saudi-Arabiens als größtem Ölproduzenten – mittels ihrer korrupten Herrscher kommt größte Bedeutung zu. Schließlich kann, wer hier das Sagen hat, den Preis des Öls entscheidend beeinflussen, mit all seinen Auswirkungen auf die Wirtschaft großer wie kleiner Staaten. 

Aus Sicht der USA ist der Zugriff auf das Öl am Golf essentiell. Ausgedrückt ist dies in der »Carter Doktrin« vom Januar 1980, d.h. unmittelbar nach der iranischen Revolution: »Jeder Versuch einer auswärtigen Macht, die Kontrolle über die Golfregion zu erringen, wird als Angriff auf die vitalen Interessen der USA angesehen und mit allen, auch militärischen, Mitteln zurückgeschlagen.« Auf dieser Basis führte 1991 Präsident George Bush senior die Operation »Wüstensturm« durch und baute Präsident William Clinton massiv die militärische Präsenz der USA am Golf aus. Im Boden der Länder dieser Region liegen nach aktuellen Schätzungen Ölreserven, die nach heutigen Preisen Gewinne von mehr als 10000 Milliarden US-Dollar erwarten lassen. Um die Verteilung dieser Profite geht es, und aus diesem Fonds werden auch die Rüstungsausgaben und die Kriege der Region finanziert – die der Angreifer wie die der Verteidiger. 

Die Installation eines US-hörigen Regimes im Irak und damit die Wiederherstellung der unmittelbaren Verfügungsgewalt über das irakische Öl ist aus US-Sicht natürlich verlockend; beschränkte die US-Strategie sich doch seit Jahren auf die Aufrechterhaltung des Status quo, d.h. auf die Aufrechterhaltung eines permanenten Spannungszustands, inklusive eines Krieges niederer Intensität. Das erklärt auch eine Politik, die die Sanktionen auf unbestimmte Zeit fortschreiben will, an einer effektiven Rüstungskontrolle aber offensichtlich nicht interessiert ist. 

Allen schon weit gediehenen Bemühungen in diese Richtungen wurde ja bekanntlich mit den Bombardierungen im Dezember 1998 der Garaus gemacht. Zuvor hatten die Kontrolleure von UNSCOM den nahezu vollständigen Vollzug aller geforderten Abrüstungsmaßnahmen vermelden können. Auf Kosten des Iraks war ein voll funktionsfähiges Videoüberwachungssystem mit mehr als 130 Installationen an allen Orten, die zur Rüstungsproduktion dienen könnten, eingerichtet worden, über die eine sehr effektive Überwachung möglich gewesen wäre. UNSCOM mußte auf Grund der Kriegsvorbereitungen im Herbst 1998 abgezogen werden, und das Videoüberwachungssystem fiel den folgenden angelsächsischen Bomben zum Opfer. 

Auch die Aufrechterhaltung des Status quo kann, wie schon geschehen, umfassende militärische Angriffe beinhalten, die neben der militärischen stets auch der industriellen Infrastruktur gelten. Angriffsziele könnten dabei auch Teile der Infrastruktur zu Förderung und Transport von Erdöl sein, um die Möglichkeiten des Iraks, auf eigene Rechnung Öl zu exportieren, zu beschneiden. Dies war ja eines der Ziele der im Juni im UN-Sicherheitsrat gescheiterten US-Pläne zur Änderung der Sanktionspolitik. 

Ein bedingungsloses Ende des Embargos gegen den Irak sowie eine Lösung der ausstehenden Probleme auf dem Verhandlungswege, wie es in einem Aufruf die deutsche Initiative gegen das Irakembargo (www.embargos. de) fordert, ist daher dringender denn je. Diese Forderungen müssen ergänzt werden durch den dringenden Appell an die USA und ihre Verbündeten, alle Kriegshandlungen gegen den Irak endlich einzustellen. 
 

http://www.jungewelt.de/2001/11-23/010.php