Krankheit und Leid

( Referat im 3. Linzer Religionsgespräch, 7. Februar 2002  )

 

 

„Wenn es um Erfahrungen mit Gott in Leid geht, dann haben die Leidenden das Sagen.“

 

Kommen sie mir nur ja nicht mit einem barmherzigen Gott...........

Was habe ich denn verbrochen in meinem Leben?

Wissen Sie, ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Gott mein Elend will...............

Wie kann Gott das zulassen?

 

„Wenn es um Erfahrungen mit Gott im Leid geht, dann haben die Leidenden das Sagen.“

In dieser Aussage des evangelischen. Theologen  Heinz Zahrnt, die mich seit Jahren in meiner Arbeit als Krankenhausseelsorgerin begleitet, sehe ich eine Verpflichtung für alles Reden und Nachdenken über die Wirklichkeit menschlichen Leids  - eine Verpflichtung und eine Ermöglichung.

 

Erlauben Sie mir bitte daher hier unter Satz das meine zu stellen und zu sagen .

 

Reden über Leid, das Reden über das Verhältnis von Glaube und Leid gleitet nicht selten in die Versuche, die Existenz des Leids zu erklären ( zu Gunsten Gottes, eines Gottesverständnisses ) und auf Kosten von Kindern, Frauen und Männer, die quer durch die Zeiten und Orte – auch jetzt erträglich / unerträglich ( aber wer darf feststellen, erträglich oder unerträglich ) leiden.

Leid wird vielleicht banalisiert, Leid wird begründet, gerechtfertigt in Feststellungen von Schuld und Sünde als dessen Ursache. Leid als Strafe, Leid als Prüfung Es mangelt nicht an Theorien und Theologien, in denen versucht wird, Ratlosigkeit zu beseitigen, wenn Leidende ihre Fragen laut, sehr laut stellen. Patienten, denen ich begegne, erzählen manchmal von solchen Bemühungen

Und doch: als Seelsorgerin, als Theologin und als Christin, die ihr eigenes Leben zu buchstabieren versucht, mache ich mir Gedanken über ein mögliches Verhältnis zwischen der Wirklichkeit menschlichen Leids und dem Gott Jesu. Dabei sind mir die Menschen, denen ich begegne, Quelle, Orientierung - und notwendige Zeugen. ....................

Mir werden Fragen gestellt – und mir stellen sich Fragen. Fragen die gehört werden wollen.

Ich höre diese Fragen von Frauen und Männern auf der Intensivstation, in der Nacht, wenn ich gerufen werde, weil ein Mensch weggegangen ist, manchmal viel zu früh, manchmal so schmerzlich.  

Und ich halte Ausschau nach dem, was ChristenInnen in der Erfahrung von Leid und der Begegnung mit Leid eine Hoffnung gibt, die aufrichtet und versöhnt..........

Ausschnitthaft möchte ich ein wenig davon erzählen, welche Wege Menschen –leiderfahren - im Blick auf Jesus Christus gehen: in ihrer Suche nach Linderung, nach Änderung, nach Sinn. .....

Denn ich finde in diesen Wegen einen Wegweiser hin zu dem, was von Menschen der Bibel berichtet wird. Anders gesagt: Frauen und Männer sind mir TrägerInnen der biblischen Zusagen - und in den biblischen Zusagen entdecke einen Boden, auf dem Menschen gehen können:  auch in der Wirklichkeit von Leid.

Ich möchte –zumindest ansatzweise – drei Aspekte nennen, die mir in derer Zusammenschau das zum Ausdruck bringen, was viele Christen und Christinnen sich aufrichten läßt: in Krankheit, Angst und Ratlosigkeit.......

 

Als Krankenhausseelsorgerin begegnet mit Leid vorwiegend in der Gestalt von Kranksein:

Krankheit ist Schmerz

Krankheit ist Angst

Krankheit ist Leid

Krankheit ist heilbar – nicht immer, aber oft

Leid ist heilbar - nicht immer, aber oft.

Leid heilen?

Um des Menschen Willen Leid heilen?

Um Gottes Willen Leid heilen?

Um des Menschen Willen - und daher um Gottes Willen Leid heilen!!

 

Im Blick auf die Erzählungen über Jesus versuchen Menschen seit Jahrhunderten – gelingend und misslingend –Leid zu lindern, Leid zu heilen.

ChristInnen und Christen sahen und sehen, in den tradierten Heilungserzählungen des 2.Testaments ( Jesus heilt Blinde, Lahme, Aussätzige ) in der Gerichtsrede bei Matthäus die Verpflichtung, Leid – in welcher Form auch immer – zu lindern oder zu nehmen.

Der Satz  im zentralen Gebet  aller ChristenInnen  (Vater unser ) „dein Wille geschehe“, ist nicht die Aufforderung zu einer Leidannahme vor dem Bemühen um Leidlinderung.

Sondern: um Gotteswillen: Lachen und nicht Weinen; Friede und nicht Krieg........................... Kein Mensch hat Schmerzen, Kummer, Angst, Einsamkeit, Sorgen widerspruchslos – und vielleicht dankbar zu tragen weil da ein Gott, der Gott,  den Jesus Vater nannte, dies will oder braucht...Im Namen Gottes sind Tränen zu trocknen, Kranke zu besuchen, Hungrige zu speisen, Fremde und Obdachlose aufzunehmen...............

 

Mir begegnet – und wir alle wissen darum – auch Leid, das nicht genommen  werden kann: zum Himmel schreiendes Leid. Ich denke an einen 25-jährigen Mann, Vater einer kleinen Tochter, verheiratet voll der Freude über das Leben – und voll Dankbarkeit. Diagnose: Gehirntumor.

Der Tumor krallte sich fest in seinem Kopf- in seinem Körper. Störte und zerstörte in entsetzlicher Beharrlichkeit sein Leben.

Ich denke an einen 50jährigen Mann: Kehlkopfkrebs.

Da er meinen regelmäßigen Besuch als Seelsorgerin wünschte, klopfte ich jeden zweiten Tag an seine Tür. Das, was mich dann regelmäßig erwartete, war eine metallene Stimme: „Wo ist Ihr barmherziger Gott? Der, von dem mir in der Schule und in den Kirchen erzählt wurde – und ich hab´s geglaubt.......Ich habe diesen Gott letzte Nacht wieder gefragt, weshalb er so grausam sein muss – oder will..... Und wenn er´s braucht, wieso wählt er mich aus? Weil er mich besonders liebt........Erklären Sie mir das, sie glauben doch an diesen Gott!“ Und ich konnte es nicht erklären – wenn ich diesen Mann nicht mißachten wollte – und Gott geringachten.......

Einige Wochen vergingen. Eines Abends – ich trat wieder in sein Zimmer – begrüßte er mich und ich hörte ihn mit seiner harten Stimme sagen: jetzt weiß ich, dass der da – und er zeigte auf das Kreuz - mein Elend nicht will.................

 

Und mir gehen die Erzählungen um Hiob durch den Kopf: ein Mensch, der sich auf Gott verläßt, und alles verliert, was ihm lieb und wertvoll ist: seine Kinder, seine Familie, sein Haus, sein Land, seine Gesundheit – und er klagt Gott an.  Er versteht nicht das Handeln / Nichthandeln Gottes. Doch da gibt es Erklärungen von Frommen: Schuld ( auch unbewußte ) ist Ursache für sein Leid, eine Prüfung, die Gott ihm schickt, ein Auserwähltsein von Gott......

Alle Erklärer schickt Hiob, dort auf dem Aschenhaufen sitzend und seine eitrigen Wundernd mit Scherben reinigend, fort...........

 

Und mir geht der Schrei Jesu durch den Kopf - der Schrei Jesu am Kreuz: Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen“

Jesus schreit, schreit Gott an und hält so an der Würde des Einzelnen fest.

Wie nahe waren der junge  Vater, der Mann mit der Sprechkanüle  dem Jesus am Kreuz in seinem  Schrei- in seiner Klage? Wie nahe war Jesus den beiden Menschen in diesen Tagen und Nächten?????

Frauen und Männer sehen sich im Blick auf Jesus ermutigt – und nicht allein - aufzuschreien, zu klagen. Gott im Leid einzufordern: Was willst Du? Warum dieses Elend? Wo bist Du ?

Und ich denke an eine Frau, die mir einige Wochen nach dem Verlust ihres 12jährigen Sohnes sagte. „Ich hätte es so gebraucht, gemeinsam mit anderen Gläubigen vor Gott klagen zu dürfen. Aber in den Kirchen ist wenig Platz dafür: Dort muß gelobt und gedankt werden..........

Menschen der Bibel kennen jedoch die Klage und haben die Freiheit, so ihre Würde -  und die Größe Gottes – ernst zu nehmen.

Klage, die an Gott – und nicht über ihn - gerichtet  wird,  ist Ausdruck des Vertrauens und in sie ist ein Eintreten in eine Beziehung zu diesem Gott...

Hiob, Jesus, der Mann mit Kehlkopfkrebs und ..................Sie nennen mir eine Hoffnung, die aus der Klage entsteht  und Begreifen übersteigt -  keine Antwort für ihr Leid..

 

Hoffnung – welche Hoffnung begegnet mir in den Menschen, die verloren haben: Gesundheit, einen Partner, einen Freund, eine Tochter, jemanden, der ihnen ihren Alltag lebens- und liebenswert machte..?

Und mit welcher Hoffnung stehe ich bei ihnen, welche Hoffnung kann ich nennen?

Es ist unsere gemeinsame Hoffnung.

Fragend blicken wir manchmal miteinander – mehr oder weniger darin geübt – auf diesen Jesus. Den, der in seiner eigenen Leiderfahrenheit uns ermutigt, herauszutreten aus einer tödlichen Isolation, in die uns der Schmerz zu zwingen droht -  und Gott selbst hereinholt. Es gibt in der Welt keinen von Gott freien Raum – auch nicht im Leid ........

Ich erlebe, dass Menschen in Gott einen Ort finden, in dem sie und ihr Leid Platz bekommen. Einen Ort, in dem ihr Leid aufgehoben – unerklärt - aufgehoben wird.

 

Die Hoffnung auf einen sympathischen Gott, einen mitleidenden- nicht unbeteiligten Gott -

ermöglicht mir, den Frauen und Männern, denen ich begegne, eine Zusage einander weiterzugeben und ihr zu trauen:

Dass alles Lachen, alles Weinen – und alles Verstummen – in die Gegenwart eines tröstenden Gottes fällt: „Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er – Gott -  wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“ ( Offenbarung des Johannes )

 

„Wenn es um Erfahrungen mit Gott in Leid geht, dann haben die Leidenden das Sagen.“

 

 

 

 

Dr. Anna Seyfried

Referentin für Krankenhausseelsorge