Nachhaltig zusammenarbeiten –

Lernprozesse der Religionen nach dem 11. September 2001


Am 11. September 2002 jähren sich die Anschläge in New York und Washington - ein Angriff, bei dem auch religiöse Motive eine Rolle gespielt haben. Als Mitglieder am Runden Tisch der Religionen in Deutschland fragen wir, welche Folgen nicht nur kurz-, sondern längerfristig zu bedenken sind und was insbesondere die Religionsgemeinschaften lernen müssen:

1. Die Religionen sind zu einer Weggemeinschaft berufen. Dabei brauchen wir den Mut, uns gegenseitig vor ideologischem Missbrauch zu warnen.

2. Die Ursachen der Gewalt liegen tief. Zu ihnen gehören soziale und wirtschaftliche Verarmung, religiös-kulturelle Nichtachtung und verletztes Selbstbewusstsein ebenso wie religiöser Fanatismus und politischer Missbrauch religiöser, kultureller und nationaler Gefühle. Im Hintergrund stehen oft Wunden, die man sich in der Geschichte der Religionen zugefügt hat.

3. Der Terror des 11. September 2001 in den USA ist vom Ausmaß und seiner menschenverachtenden Brutalität her unfassbar. Für Religionsgemeinschaften bedeutet er eine Herausforderung ganz eigener Art.

4. Auch wenn terroristische Taten nur religiös verbrämt, aber nicht motiviert sind, gibt es in Religionsgemeinschaften Sichtweisen, die sie stützen und für die die Religionsgemeinschaften Mitverantwortung tragen.

5. Wir betonen deshalb: Die Religionsgemeinschaften sind ihrem Glauben und damit auch dem Gemeinwohl verpflichtet. Sie müssen - zusammen mit Vertretern der Politik, der Wirtschaft und der Erziehung - daran mitarbeiten, die Mechanismen aufzudecken, die zum Terror führen. Sie sind insbesondere gefordert, ein Netzwerk für die Entwicklung von Frieden und Gerechtigkeit mit aufzubauen.

6. Gefordert ist eine religiöse Ethik, die über die eigene Glaubensfamilie hinaus weist und die Bereitschaft zur Mitarbeit an der Weltgemeinschaft weckt. Nicht nur in Wirtschaft und Politik, sondern auch in den Religionen und Kulturen muss global gedacht und gehandelt werden.

7. Gleichzeitig ist eine wirksame institutionelle Form für das interreligiöse Krisenmanagement gefordert: Über die Aburteilung jeglichen Terrors im Namen der Religionen hinaus müssen Strukturen entwickelt werden, um bei gegenseitigen Beschuldigungen und Verletzungen im Gespräch zu bleiben, an der Deeskalation von Gewaltaktionen mitzuwirken und Versöhnungsprozesse in Gang zu setzen.

8. Der 11. September 2001 verlangt nachhaltiges Denken und Handeln:

 

-         in einer kontinuierlichen Begegnung und Verständigung zwischen Menschen verschiedener Religionen und Kulturen,

-         in einer Erziehung, die Vorurteile überwindet und in der Verletzungen der Vergangenheit aufgearbeitet werden,

 

-         in einer Bildung, die das je eigene religiöse und kulturelle Erbe lebendig macht und fruchtbar werden lässt für eine vielfältige, nicht "gleichgeschaltete" Gemeinschaft,

 

-         im Einsatz für Benachteiligte und an den Rand gedrängte Bevölkerungsgruppen,

 

-         in einer Integrationsbemühung, in die sich alle mit ihren Fähigkeiten und Besonderheiten gleichberechtigt einbringen können.

 

 

Wir hoffen, dass vom "Tag der Religionen", der von uns angeregt wurde und am 14. November 2002 erstmals in Hamburg stattfinden wird, nachhaltige Verständigungsimpulse ausgehen.

Bonn, im September 2002


Für den Nationalen Geistigen Rat der Bahá i: Dr.N. Towfigh
Für die Deutsche Buddhistische Union: Dr. A. Weil
Von der Evangelischen Kirche: Bischöfin B. Wartenberg-Potter
Vorsitzender des Islamrates: A. Kizilkaya
Für den Zentralrat der Juden in Deutschland: N. Kalmanowicz
Für die Orthodoxe Kirche: Metropolit Dr. Serafim
Für die Röm.-Katholischen Kirche Weihbischof Dr. H-J. Jaschke
Vorsitzender des Zentralrates der Muslime: Dr. N. Elyas